Die achte Karte
Nebenhaus alarmiert hätten.
Er hatte sie gehen lassen. Schließlich hatte er nicht vorgehabt, sie zu verletzen. Er liebte sie, verehrte sie, betete sie an. Aber ihr Verrat war zu groß, zu unerträglich. Sie hatte ihn dazu getrieben.
Nach dieser Nacht war sie aus Paris verschwunden. Den ganzen November und Dezember hindurch hatte Constant unablässig an sie gedacht. Es war ganz einfach. Er liebte sie, und sie hatte ihn einfach fallenlassen. Sein Körper und sein Verstand lieferten immer wieder gnadenlose und tückische Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit – ihr Duft, ihre geschmeidige Anmut, wie still sie neben ihm saß, wie dankbar sie für seine Liebe gewesen war. Wie keusch, wie gehorsam, wie vollkommen. Und dann kehrte die Demütigung, von ihr verlassen worden zu sein, mit voller Wucht zurück, zusammen mit einem Zorn, der noch wilder und zügelloser war als zuvor.
Um die Erinnerung an sie auszulöschen, flüchtete Constant sich in die üblichen Ablenkungen, die einem Mann mit urbanen Gewohnheiten und vollen Taschen zur Verfügung standen. Spielhöllen, Nachtklubs, Laudanum, um die immer höheren Dosen Quecksilber auszugleichen, die er nehmen musste, um die Symptome seiner fortschreitenden Krankheit zu lindern. Es gab eine Reihe von
midinettes,
Huren, die ein wenig so aussahen wie sie und für ihre Untreue mit ihrem zarten Fleisch bezahlten. Er war ein auffällig gutaussehender Mann. Er konnte spendabel sein. Er wusste, wie man verlockte und betörte, und die Mädchen ließen sich bereitwillig darauf ein, bis sie schließlich erkannten, wie verdorben seine Gelüste waren.
Nichts brachte ihm Erleichterung. Nichts linderte seine Seelenqual angesichts ihres Verrats.
Drei Monate lang überlebte Constant ohne sie. Ende Januar jedoch änderte sich alles. Als das Eis auf der Seine zu schmelzen begann, drang ein Gerücht an sein Ohr, dass sie, inzwischen verwitwet, nach Paris zurückgekehrt war und jetzt einen Liebhaber hatte. Dass sie einem anderen Mann das geschenkt hatte, was sie ihm verweigert hatte.
Constants Schmerz war überwältigend, sein Zorn fürchterlich. Das Bedürfnis, sich an ihr zu rächen – sich an ihnen zu rächen –, ergriff vollständig von ihm Besitz. Er stellte sie sich blutend in seinen Händen vor, so leidend, wie sie ihn hatte leiden lassen. Die Hure für ihre Treulosigkeit zu bestrafen wurde zum alles beherrschenden Ziel in seinem Leben.
Es war eine Kleinigkeit gewesen, den Namen seines Rivalen herauszufinden. Dass Vernier und sie ein Liebespaar waren, kam ihm jeden Morgen, wenn die Sonne aufging, als Erstes in den Sinn. Und es war auch sein letzter Gedanke, wenn der Mond die Nacht begrüßte.
Als der Januar in den Februar überging, hatte Constant seine Verfolgungs- und Rachekampagne begonnen. Er konzentrierte sich auf Vernier und machte sich daran, dessen guten Namen zu ruinieren. Seine Taktik war simpel. Klatsch und Tratsch, Tropfen für Tropfen in die Ohren weniger renommierter Zeitungskolumnisten geträufelt. Gefälschte Briefe, die von einer schmierigen Hand in die andere wechselten. Gerüchte, die in das verwirrende Labyrinth eingespeist wurden, in dem sich hinter der ehrbaren Pariser Fassade Eingeweihte und Akolythen und Mesmerianer tummelten, praktischerweise alle durchdrungen von Argwohn und der ständigen Angst, entdeckt zu werden. Schmuddelige Unterstellungen, zwielichtiges Gemunkel, anonym veröffentlichte Verleumdungen.
Lügen, allesamt, aber plausible Lügen.
Doch selbst dieser Kreuzzug gegen Vernier, so erfolgreich er auch war, brachte Constant keine Befriedigung. Noch immer suchten ihn nachts Alpträume heim, und selbst am Tag verfolgten ihn Bilder, wie die beiden Liebenden einander in den Armen lagen. Auch der unaufhaltsame Verlauf seiner Krankheit raubte ihm den Schlaf. Wenn Constant die Augen schloss, überfielen ihn alptraumhafte Bilder seines eigenen elenden Todes, gegeißelt und ans Kreuz genagelt. Er hatte schreckliche Visionen, wie sein Körper leblos auf dem Boden lag, ein neuer Sisyphus, zerschmettert von seinem eigenen Felsbrocken, oder gefesselt wie Prometheus, während sie auf seiner Brust kauerte und ihm die Leber herausriss.
Im März gab es eine gewisse Erlösung. Sie starb, und ihr Tod bescherte ihm auch eine gewisse Erleichterung. Constant hatte aus dem Hintergrund beobachtet, wie ihr Sarg in die nasse Erde des Cimetière de Montmartre gesenkt wurde, und er hatte das Gefühl, von einer Last befreit worden zu sein. Danach sah er mit großer
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