Die Achtsamkeits-Revolution
die Augen geöffnet bleiben, während Sie die Achtsamkeit auf den Bereich der mentalen Ereignisse konzentriert halten, lösen sich die künstlichen Grenzen zwischen »Innerem« und »Äußerem« allmählich auf. Vor allem wir, die wir in einer materialistisch gesinnten Gesellschaft leben, sind die Vorstellung gewöhnt, dass sich unsere Gedanken und alle anderen mentalen Ereignisse im Innern unserer Köpfe abspielen. Wissenschaftlich bewiesen wurde das aber nie. Wir wissen in diesem Zusammenhang nur, dass eine Beziehung zwischen mentalen und neuralen Ereignissen besteht, was aber nicht unbedingt bedeutet, dass diese am selben Ort stattfinden.
Aber auch wenn wir nicht der materialistischen Grundannahme anhängen, dass der Geist nichts weiter ist als eine Gehirnfunktion, haben wir natürlicherweise doch das Empfinden, dass wir von hinter den Augen auf die Welt hinausblicken. Dieses Gefühl von einem unabhängigen Subjekt, oder Ego, das im Kopfinnern residiert, ist jedoch eine Illusion. Diese Vorstellung erfährt keinerlei wissenschaftliche Unterstützung, und wenn wir sie durch rigoroses kontemplatives Nachforschen überprüfen, lässt sich dieser autonome Denker und Beobachter in Innern des Kopfes nirgendwo finden. Wenn Sie bei dieser Praxis die Augen geöffnet halten, aber Ihre Achtsamkeit auf den Geist lenken, beginnt sich diese gedanklich übergestülpte Grenzziehung zwischen dem Innen und Außen aufzulösen. Sie merken allmählich, dass sich Ihre Gedanken nicht hier drinnen im Kopf, aber auch nicht da draußen im Raum ereignen. Diese Praxis stellt die Existenz eines absolut objektiven Raums der physischen Sinne, der von einem subjektiven Raum des Geistes total getrennt ist, in Frage. Sie befinden sich nun auf dem Pfad zur Erkenntnis der Bedeutung von Nichtdualität.
Körper und Geist sind innerlich entspannt. Lass nicht zu, dass dein Bewusstseinskontinuum vom Zustand der Transparenz und lichtvollen Klarheit abgeht, erhalte ihn natürlich und strahlend aufrecht.
Auf dem Shamatha-Pfad müssen zwar die Stabilität wie auch die Schärfe und Klarheit der Achtsamkeit unbedingt gesteigert werden, doch darf dies keinesfalls auf Kosten der Entspanntheit geschehen. Verstärken Sie auf der Grundlage von körperlicher und mentaler Entspanntheit die Stabilität Ihrer Achtsamkeit, und beobachten Sie aus der Warte dieser zunehmenden Ruhe und Unbe- wegtheit die natürliche Klarheit und Leuchtkraft des Gewahrseins. Die Transparenz des Bewusstseins bezieht sich auf dessen Qualitäten von Durchsichtigkeit und lichtvoller Klarheit. Der Raum des Geistes ist durchscheinend wie ein See voll klaren, strahlend hell durchleuchteten Wassers. Klarheit, Transparenz und Strahlkraft sind Qualitäten des Gewahrseins selbst, es sind keine Eigenschaften, die ihm durch die Meditation hinzugefügt werden. Es ist also eine Praxis, bei der man die dem Gewahrsein innewohnende Ruhe und klare Leuchtkraft entdeckt, und nicht entwickelt.
Verstelle deinen Geist nicht mit vielen kritischen Urteilen; nimm keine kurzsichtige Sicht auf die Meditation ein und vermeide große Hoffnungen und Ängste, dass deine Meditation in dieser oder anderer Weise verlaufen wird.
Einer der hilfreichsten Ratschläge, die mir mein spiritueller Mentor Gyatrul Rinpoche erteilte, betraf das Hoffen und sehnliche Wünschen. Er sagte, dass ich mit zu starker Wunschvorstellung meditiere. Ich entgegnete, man habe mir viele Male erklärt, wie wichtig die Entwicklung einer starken Motivation für die Praxis ist, und dass das ja auch das Verlangen nach Erfolg beinhaltet.
»Wie soll man denn den sehnlichen Wunsch zu praktizieren kultivieren und dies dann fast oder absolut wunschlos tun?«
Er erwiderte: »Es ist gut, zwischen den Sitzungen über den Wert einer solchen Praxis zu meditieren und in dir die Motivation wachzurufen, dich ihr mit großem Eifer widmen zu wollen. Aber lass in den Meditationssitzungen selbst all diese Wünsche fahren. Mach dich frei von all deinen Hoffnungen und Ängsten und widme dich einfach Augenblick um Augenblick der Praxis.« Vor allem im heutigen Westen, wo so viele Menschen immer in Eile und auf rasche Heilungen und kurzfristige Ziele aus sind, entwickelt man leicht eine kurzsichtige Auffassung von der Meditation. Es ist ein großen Fehler, wenn man den Wert der Meditation nur danach beurteilt, wie gut man sich beim Meditieren fühlt. Sie ist keine Wunderpille, die binnen Minuten vorübergehende Erleichterung verschaffen soll. Sie ist ein Weg zu
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