Die Achtsamkeits-Revolution
beschränkt wie die ohne Bezug zu einer wissenschaftlichen Realitätsauffassung durchgeführte Forschung im Bereich der Wissenschaft.
Den relativen Grund-Zustand des Bewusstseins erforschen
Der Mahayana-Tradition zufolge fuhrt die Praxis des Den-Geist- in-seinem-natürlichen-Zustand-zur-Ruhe-Bringens zur Erkenntnis der relativen Natur des Bewusstseins und zeitweiligen Reduzierung von gewissen Hindernissen oder Verdunkelungen des Geistes. Deshalb nannte sie der Erste Panchen Lama Meditation über die relative Natur des Geistes und gab warnend zu bedenken, dass viele Kontemplative in Tibet ihre meditativen Erfahrungen in
dieser Praxis irrigerweise für die Erkenntnis der absoluten Wahrheit gehalten hatten.
Sowohl die Theravada- wie auch die indotibetischen Traditionen des Buddhismus sind sich darin einig, dass das Kultivieren von Shamatha zur empirischen Einsicht in den Grundzustand der Psyche führt. Die frühe buddhistische Literatur bezeichnet dies als das bhavanga, wörtlich »der Grund des Werdens«, ein (unterbe- wusster) Daseinsstrom (genauer, eine die Bedingung zum Dasein bildende Strömung), der alle Arten mentaler Aktivitäten und sensorischer Wahrnehmungen trägt und stützt, so wie die Baumwurzeln den Baumstamm, die Äste und Blätter tragen und aufrecht halten. Das Bhavanga kann als relativer Vakuumzustand des Be- wusstseins charakterisiert werden, der von jeglicher »kinetischer Energie« aktiver Gedanken, mentaler Bildersprache und Sinneswahrnehmungen entleert ist. Allgemein gesprochen lässt es sich, wenn der Geist aktiv ist, nicht erkennen, da es sich normalerweise nur im traumlosen Schlaf und in den allerletzten Lebensmomenten eines Menschen manifestiert. Es wird als der natürliche ungehinderte Zustand des Geistes beschrieben, dessen innere Strahl- kraft und Reinheit auch dann vorhanden sind, wenn der Geist durch Leid verursachende Gedanken und Emotionen verdunkelt ist. 70 Im Gegensatz zu den Vertretern einer materialistischen Auffassung vom Geist bestätigen buddhistische Kontemplative, dass alle mentalen und sensorischen Prozesse zwar durch den Körper und die Umwelt konditioniert werden, sie aber eigentlich aus dem Bhavanga und nicht aus dem Gehirn hervorgehen.
Theravada-Kommentatoren beharren darauf, dass das Bhavanga eine zwischenzeitliche Phase des Bewusstseins ist, die unterbrochen wird, sobald ein sensorisches Bewusstsein oder andere Arten kognitiver Aktivität entstehen. Es ist demnach kein kontinuierlich bestehender Speicher, der zur Aufbewahrung und Quelle von Erinnerungen oder irgendwelcher anderen mentalen Eindrücke
dient. Trotz der Tatsache, dass das Bhavanga als der natürlich reine und strahlende Gewahrseinszustand beschrieben wird, der existiert, gleich ob der Geist von Verunreinigungen verdunkelt ist oder nicht, bestreitet diese Schule, dass es sich hier um einen immer gegenwärtig vorhandenen Speicher oder Urgrund handelt - vielleicht aus Sorge, dass man es für ein dauerhaftes, unabhängiges Selbst halten könnte.
Ich glaube, dass Dzogchen-Kontemplative, die Shamatha erlangt haben, Zugang zu ebendieser Bewusstseinsdimension gewinnen, sie aber auf eine etwas andere Weise deuten. Sie sprechen in diesem Zusammenhang vom Alayavijnana , dem Speicherbewusst- sein, und vom Alaya, dem Grund, Urgrund, der Basis oder Allbasis. Das Speicherbewusstsein besteht aus einem Strom entstehender und vergehender Bewusstseinsmomente, weshalb es nicht von dauerhafter Natur ist. Es wird durch verschiedene Einflüsse konditioniert, somit ist es auch nicht von unabhängiger Natur. Aber sie betrachten es als einen kontinuierlichen Bewusstseins- strom, aus dem alle weltlichen kognitiven Prozesse hervorgehen.
Das Speicherbewusstsein wird im natürlichen Verlauf des Lebens wiederholt im traumlosen Schlaf erfahren und manifestiert sich schließlich im Augenblick des Todes. Ein Kontemplativer kann mit Hilfe der Shamatha-Praxis diese Bewusstseinsdimension erforschen, in der das diskursive Denken schlummert und alle Erscheinungen von sich selbst, von anderen, des eigenen Körpers und der Umgebung verschwinden. An diesem Punkt wird, wie beim Schlafen und beim Sterben, der Geist nach innen gezogen und die physischen Sinne ruhen. Was bleibt, ist ein Zustand strahlenden klaren Bewusstseins, das die Basis für das Auftauchen aller Erscheinungen im Geistesstrom eines Individuums ist. Alle der sensorischen und mentalen Wahrnehmung erscheinenden Phänomene sind von der Klarheit dieses
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