Die Achtsamkeits-Revolution
Farbe noch Gestalt ... es ist bloß ein in dem Sammlungbesitzenden anwesendes, geistig gezeugtes Bild. 95
Im Buddhismus werden alle normalen menschlichen Bewusst- seinszustände, im Wachen oder Schlaf, als dem Begierdebereich zugehörig betrachtet, so genannt, weil diese Dimension des Bewusstseins von sinnlichen Begierden beherrscht wird. Auch alle neun zum Erlangen von Shamatha führenden Stufen gehören diesem Bereich an. Erst mit dem Erreichen der mit Shamatha verbundenen mentalen und physischen Geschmeidigkeit können wir Zugang zum Formbereich gewinnen. Dieser ist eine subtile Dimension des Bewusstseins, die den Bereich der physischen Sinne transzendiert, in gewisser Hinsicht Piatons Welt der reinen Ideen oder der archetypischen Welt C. G. Jungs ähnlich. Hat man Zugang zum Formbereich gewonnen, wird das Bewusstsein weiter-
hin durch äußerst subtile Konzepte strukturiert, die einer tieferen Quelle als der der menschlichen Psyche entstammen. Theravada- Buddhisten sprechen über eine Vielfalt von »Gegenbildern«, die man wahrnimmt, sobald man den Zugang zum Formbereich gewonnen hat. Diese »Zeichen« oder »Bilder« scheinen verfeinerte und geläuterte archetypische Darstellungen von Phänomenen einzuschließen, die man im Begierdebereich wahrnimmt und erlebt, einschließlich der Elemente von Festigkeit, Flüssigkeit, Hitze, Beweglichkeit, der vier Farben Blau, Gelb, Rot und Weiß, und Licht und Raum.
Der anfängliche Erlangungszustand von Shamatha wird als die sich der Vertiefung (dhyana) nähernden, aber sie noch nicht erreichende Angrenzende Sammlung bezeichnet. Die voll erlangte Erste Vertiefiing nennt man Volle Sammlung. Der Buddha erklärte, dass man mit dem Erlangen der Ersten Vertiefung zum ersten Mal zeitweilig von fünf Arten der Hindernisse (avarana) oder Hemmnisse (nivarana) befreit wird, die das Gleichgewicht des Geistes stören. Diese sind 1) Begierde, 2) Ärger, 3) Stumpfheit und Mattheit, 4) Aufgeregtheit und Gewissensunruhe und 5) Zweifel. 96 Buddha- ghosa kommentierte: »Bei solchem Vorgehen sterben in einem der Reihe nach die geistigen Hemmnisse ab, die geistigen Unreinheiten verschwinden, der Geist festigt sich in der Angrenzenden Sammlung< und das >Gegenbild< kommt zum Entstehen.« 97
Wenn Sie die mit dem Freisein von diesen Hemmnissen verbundene mentale und physische Geschmeidigkeit und Flexibilität zum ersten Mal erreichen, erleben Sie eine Woge der Ekstase und Glückseligkeit, die ein Symptom dafür zu sein scheint, dass man eine noch nie da gewesene Ebene der geistigen Gesundheit erlangt. Der Buddha bezog sich vermutlich auf diese »Wonne« als ausreichende Voraussetzung oder unmittelbaren Auslöser für das Erreichen von Samadhi. 98 Hier ist einer der detaillierteren Berichte über diese Erfahrung: 99
Abgeschieden von den Begierden, abgeschieden von den unheilsamen Dingen weilt da der Mönch im Besitz der von Gedankenfassen und Uberlegen verbundenen, in Abgeschiedenheit geborenen, von Entzücken und Glücksgefühl begleiteten ersten Vertiefung. Diesen Körper durchsättigt und durchtränkt, erfüllt und durchdringt er mit dem in der Abgeschiedenheit geborenen Entzücken und Glücksgefühl, sodass nicht irgendeine Stelle seines ganzen Körpers undurchdrungen ist von dem in der Sammlung geborenen Entzücken und Glücksgefühl.
Mit der Verwirklichung der Angrenzenden Sammlung ergeben sich fünf mentale Faktoren oder »Vertiefungsglieder«, die den fünf Hemmnissen direkt entgegenwirken:
Der Faktor der groben Uberprüfung, der den verbundenen Hemmnissen von Stumpfheit und Mattheit entgegenwirkt.
Der Faktor der präzisen Untersuchung, der dem Hemmnis des Zweifels entgegenwirkt.
Der Faktor des Wohlgefühls, der dem Hemmnis des Ärgers und Ubelwollens entgegenwirkt.
Der Faktor der Glückseligkeit, der den verbundenen Hemmnissen von Aufgeregtheit und Gewissensunruhe entgegenwirkt.
Der Faktor der einspitzig gerichteten oder einsgerichteten Achtsamkeit, die dem Hemmnis der Begierde entgegenwirkt.
Das Schöne daran ist, dass aus diesem Stabilisierungsprozess des Geistes ganz natürlich eben jene Heilfaktoren hervorgehen, die den Hindernissen entgegenwirken können, die dem Erlangen des geistigen Gleichgewichts entgegenstehen. Die Shamatha-Praxis enthüllt die tiefgreifende und nachhaltige Fähigkeit des Geistes zur Selbstheilung.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Angrenzenden Sammlung und der Ersten Vertiefung besteht darin, dass bei ers-
terer die erlangte Freiheit
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