Die Adlon - Verschwoerung
dass ich Sie mag, Gunther, und es war nicht gelogen. Ich habe Ihnen gesagt, ich würde Ihnen einen Job anbieten, nur hatte ich keine Verwendung für einen aufrichtigen Mann.»
«Ich erinnere mich. Ich werde mich für mein Leben an diesen Tag erinnern.»
«Nun, jetzt habe ich eine Verwendung für so einen Mann. So einfach ist das, mein Freund. Ich brauche einen Mann mit Charakter, verstehen Sie?»
Einen Mann mit Charakter, hatte er gesagt. Ich hatte meine Zweifel. Hätte jemand mit Charakter Max Reles dabei geholfen, Othman Weinberger zum Schweigen zu bringen, indem er dem Amerikaner das Mittel an die Hand gab, die Karriere des anderen zu vernichten? Möglicherweise sein Leben gleich mit? Schließlich war ich es gewesen, der Reles von Weinbergers Achillesferse berichtet hatte. Dass der kleine Gestapo-Offizier aus Würzburg - fälschlicherweise - verdächtigt wurde, Jude zu sein. Und ich war es gewesen, der Reles von Emil Linthe erzählt hatte, dem Fälscher, und dass ein Mann wie Linthe sich durch Bestechung in die Einwohnermelderegister schleichen und einem Mann wie Weinberger genauso einfach eine jüdische Transfusion verpassen konnte, wie er mir eine arische verpasst hatte? Zu meiner Verteidigung konnte ich argumentieren, dass ich all das getan hatte, um Noreen Charalambides zu beschützen. Um zu verhindern, dass der Bruder von Max Reles sie ermordete. Doch wie viel Charakter hatte ein Mann noch übrig, der so etwas getan hatte? Nein, Charakter hatte ich ganz bestimmt nicht mehr.
«Also gut», sagte ich. «Ich nehme an.»
«Tatsächlich?» Max Reles klang überrascht. Er starrte mich aus zusammengekniffenen Augen an. «Jetzt bin ich neugierig, Gunther. Was hat Sie überzeugt?»
«Wir sind uns vielleicht ähnlicher, als ich zuzugeben bereit bin. Vielleicht war es der Gedanke an Ihren kleinen Bruder und das, was er mir mit einem Eispickel antun könnte, falls ich ausschlage. Wie geht es ihm überhaupt?»
«Er ist tot.»
«Tut mir leid.»
«Muss es nicht. Er hat einige meiner besten Freunde verraten, um die eigene Haut zu retten. Sechs gute Jungs sind seinetwegen auf dem elektrischen Stuhl gelandet. Einschließlich einem Burschen, mit dem ich zur Schule gegangen bin. Leider stellte sich heraus, dass Abe zwar ein Kanarienvogel war, doch er konnte nicht fliegen. Er stand im Begriff, einen Boss zu verpfeifen, als er im November 41 auf Coney Island aus dem Fenster des Half-Moon-Hotels flatterte.»
«Wissen Sie, wer es getan hat?»
«Er war damals in Schutzhaft, also ja, ich weiß es. Und eines Tages werde ich mich an diesen Kerlen rächen. Blut ist immer noch dicker als Wasser, und ich wurde nie gefragt. Doch im Augenblick wäre es nicht gut fürs Geschäft.» «Tut mir leid.»
«Schon gut. Wäre gut, wenn Sie nie wieder fragen würden.»
«Ich habe schon vergessen, was ich fragen wollte. Hören Sie, wir Deutschen sind gut darin, alle möglichen Dinge zu vergessen. Wir haben die letzten neun Jahre mit dem Versuch verbracht, zu vergessen, dass es je einen Mann namens Adolf Hitler gegeben hat. Glauben Sie mir, wenn Sie den vergessen können, dann können Sie alles vergessen.»
Reles grunzte.
«An einen Namen erinnere ich mich», sagte ich. «Avery Brundage. Was ist aus ihm geworden?»
«Avery? Nun ja, wir haben uns überworfen, nachdem er in das America First Committee gewechselt war, mit dem Ziel, die Vereinigten Staaten aus dem Krieg herauszuhalten. Sonst hatte er ja immer nur versucht, Juden aus den Clubs in Chicago herauszuhalten. Dieser schmierige Scheißkerl hat Millionen Dollar verdient. Seine Baufirma hat die meisten Gebäude an Chicagos Goldküste errichtet. Den Lake Shore Drive. Er hat sogar für den Posten des Gouverneurs von Illinois kandidiert, bis gewisse Leute in Chicago ihm gesagt haben, dass er sich auf seine Rolle als Sportfunktionär beschränken soll. Heutzutage sind wir sozusagen Konkurrenten. Er besitzt das La-Salle-Hotel in Chicago. Das Cosmopolitan in Denver. Das Hollywood Plaza in Kalifornien. Und einen großen Teil von Nevada.» Reles nickte. «Das Leben hat es gut gemeint mit Avery. Vor kurzem wurde er zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees gewählt.»
«Ich nehme an, Sie haben 1936 ein Vermögen verdient.»
«Sicher, aber das Gleiche gilt auch für Avery. Nach den Olympischen Spielen von 1936 erhielt er von den Nazis den Auftrag zum Bau der neuen Deutschen Botschaft in Washington. Das war die Belohnung des dankbaren deutschen Führers dafür, dass er den
Weitere Kostenlose Bücher