Die Ängstlichen - Roman
und stattdessen ein helles Lachen aus dem Wageninnern drang, die Beifahrertür aufsprang und eine junge Frau ausstieg.
In aller Seelenruhe legte sie den Kopf in den Nacken, fuhr sich mit beiden Händen in die dunklen schulterlangen Haare, fasste sie zu einem dicken Strang zusammen und band sie mit einem Gummi, das sie mit der einen Hand zwischen den Zähnen hervorzog, während sie die Haare mit der anderen zusammenhielt, zu einem Pferdeschwanz. Dabei streckte sie ihm ihre Brüste entgegen, so dass sich deren Warzen deutlich unter dem eng anliegenden hellen T-Shirt abzeichneten und ihn anglotzten wie Augen, als wollten sie sagen: Hey, was starrst du denn so? Noch nie richtige Titten gesehen, hä? (Tatsächlich aber nahm die junge Frau zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Notiz von ihm.)
Konrad konnte nicht anders, als den sehnigen, gut geformten Körper heißhungrig mit Blicken abzuweiden. Die Schenkel, ihren von der Jeans noch betonten runden Po und alles andere. Oh, wie sehnte er sich danach, das alles zu berühren und diese Brüste zu kneten und mit Küssen zu bedecken und sich an ihnen zu reiben. Alles in ihm verlangte danach (eine Folge der nachlassenden chemischen Dämpfstoffe in seinem Gehirn). Er musste leer schlucken. Die Lust war zu neuem Leben in ihmerwacht und rebellierte beim Anblick von so viel weiblichem Kitzel. Ganz anders als noch wenige Tage zuvor, als er im Tischtennisraum, weit nach Mitternacht, hastig sein schwach erigiertes Glied entblößt und es Elsie, die mit gespreizten Schenkeln vor ihm auf der Platte lag, in die trockene, von spärlichem struppigem Haar umflossene Scheide zu schieben versucht hatte. Der hochgeschlagene, ihr bis unters Kinn reichende Rock hatte wie eine viel zu große Serviette ihre platten Brüste bedeckt, und ihr blutleeres kantiges Gesicht mit dem wirren Haar hatte ausgesehen wie das einer Toten.
Doch so war das bei ihnen nun mal gelaufen. Wenn alle schliefen, trafen sie sich im Kartoffelkeller oder im Tischtennisraum und trieben es zwischen Briketts, leeren Bierkästen und Kartoffeln oder auf der verwitterten klammen Platte, während zum geöffneten Fenster die eiskalte Nachtluft hereinströmte und ihr Gestoße, Geschiebe und Geschnaufe zu einer einzigen Tortur werden ließ. Drei, vier kurze Stöße reichten in der Regel (immer wieder schlug sein nach vorn pendelnder Kopf gegen den Schirm der über der Platte angebrachten Lampe), und Konrad kam. (Allerdings ohne je wirklich zu ejakulieren infolge der Verabreichung unterschiedlicher Benzodiazepine.) Anschließend schob er hastig sein Glied zurück, riss die Hose hoch, fixierte seinen Gürtel, schnäuzte sich und schlich davon.
Der Körper eines Menschen sei eine Kathedrale, hatte ein früherer Zimmerkollege und ehemaliger Priesterschüler einmal zu ihm gesagt, und dass es die Entscheidung jedes Einzelnen sei, wann er darin bete oder faste. Oder ob er sich für die Sünde entscheide, um ein Leben in Schuld und Verdammnis zu führen, ausgestoßen aus der großen Gemeinde der Gläubigen und Willigen. Und dass nur der dauerhaft in dieser Kathedrale Platz und Geborgenheit finde, der fähig sei zu wahrem Glauben, zu Folgsamkeit und Demut.
»So einen Mist kann sich nur die Kirche ausdenken!«, hatte Konrad damals spontan geantwortet und gelacht. Der Körper eine Kirche? Sein Körper, daran bestand für ihn kein Zweifel, war ganz alleine sein Besitz (auch wenn Doktor Luxemburger mit Hilfe seiner Pillen und Spritzen nichts unversucht gelassen hatte, ihm diesen Besitz streitig zu machen), und alles in ihm verlangte in diesem Moment danach, sich zu versündigen, indem er das Weib eines anderen begehrte.
Die junge Frau lief jetzt um den Wagen herum, schlang ihre Arme um den Hals ihres Freundes und drückte ihm, indem sie leicht auf die Zehenspitzen ging, einen Kuss auf den Mund.
Konrad starrte weiter reglos und mit offenem Mund hinüber zu den beiden, gefangen von dem, was er sah: das sachte Schaukeln des Pferdeschwanzes, nach dem die unsichtbaren Finger des Nachtwindes griffen, das perfekte Zusammenspiel ihrer Muskeln und Sehnen und diese Hingabe. Dann gingen sie auseinander, und das Mädchen lachte.
Dieser Anblick (der Blick in das Gesicht des Lebens und der Schönheit!) hatte bereits genügt, um jahrelang in ihm abgeschaltete, im Dunkel liegende Gehirnregionen auf der Stelle neu zu beleben, so wie wenn Archäologen in einer weitläufigen ägyptischen Felsgrotte eine Fackel anzündeten und damit Jahrtausende in der Finsternis
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