Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
dritten Programme in Deutschland. Deswegen kommen die Politiker gern zu der Livesendung und geben sich, mehr oder minder einfallsreich kostümiert, vor den Kameras betont leutselig und humorvoll. Am 1. Februar 2013 reist Beate Merk als Indianerin verkleidet nach Veitshöchheim, mit opulentem Federschmuck auf dem Kopf. Das Lachen wird ihr allerdings bald vergehen, denn selbst für die Fastnachtskünstler auf der Bühne ist der Fall Mollath zum Thema geworden.
Der Schweinfurter Peter Kuhn gilt seit Jahren als einer der profiliertesten politischen Büttenredner Deutschlands. Er gibt diesmal einen Banker, der, zum Penner abgestiegen, auf der Parkbank sitzt und in gereimter Form über sein Leben räsoniert. Kuhns Auftritt endet so: »Genug gejammert und geklagt,/ich hab schon fast zu viel gesagt,/denn falls ich einmal dieser Tage/hier irgendwie die Wahrheit sage,/dann steckt man mich vor Hysterie/vielleicht auch in die Psychiatrie./Aus solch einem Irrenhaus/kommt man ja so leicht nicht raus./Das sind tatsächlich schlimme Zeiten – so voller Merk-Würdigkeiten.« Applaus, Bravo-Rufe. Die Kamera des Bayerischen Rundfunks zoomt auf Beate Merk. Ihre Gesichtszüge wirken in dem Moment ähnlich eingefroren wie beim Interview mit SWR-Journalistin Monika Anthes zweieinhalb Monate vorher.
Zum Lachen ist das alles in der Tat schon lange nicht mehr. Dabei wusste Beate Merk doch von Anfang an immer alles ganz genau. Zum Beispiel im Rechtsausschuss des bayerischen Landtages am 8. März 2012. Auf Antrag mehrerer Abgeordneter soll Beate Merk den Parlamentariern über den Fall Mollath Auskunft geben, der zu dieser Zeit in der Tat noch mehr als Verschwörungsgeschichte denn als tatsächliche Affäre durch Medien und Internet geistert. Dazu wird er erst im November 2012 werden, wenn der Inhalt des Sonder-Revisionsberichtes der Hypovereinsbank bekannt wird. Und in der Folgezeit immer mehr Ungereimtheiten, Widersprüche und haarsträubende Fehler, Versäumnisse und andere Merkwürdigkeiten aufgedeckt werden. Und zwar ohne das Zutun der bayerischen Justiz oder gar ihrer Ministerin.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich der bayerische Landtag an jenem 8. März 2012 mit Mollath befasst. Bereits vier Monate zuvor, am 15. Dezember 2011, ist er Thema im Plenum des Parlaments. Das Ergebnis dieser Debatte fällt nicht sehr ermutigend aus für den damals schon seit mehr als fünf Jahren in die Psychiatrie zwangseingewiesenen Maschinenbauer aus Nürnberg. Report Mainz hat die Debatte maßgeblich angestoßen, mit einem Beitrag, der sehr viele unangenehme Fragen aufgeworfen hat. Auch in den Nürnberger Nachrichten hat Journalist Michael Kasperowitsch über Mollaths Schicksal schon berichtet, in anonymisierter Form.
Sitzt da einer seit Jahren in geschlossenen Anstalten, weil er unbequeme Wahrheiten über Schwarzgeldgeschäfte beim Namen genannt hat? Dem Landtag ist das kurz vor Weihnachten 2011 offenkundig zu viel Verschwörungstheorie. Nicht nur Bayerns Justizministerin Merk wehrt sich vehement, auch die Staatsanwaltschaft Nürnberg verwahrt sich scharf gegen diese »Unterstellung«. Mit am deutlichsten aber fiel die Kritik der SPD aus, deren Rechtsausschuss-Chef Franz Schindler es an diesem 15. Dezember 2011 für völlig »unmöglich« erklärt, »wie dieser Fall hier ins Plenum gezogen« werde. Die Medienresonanz auf all dies hält sich ebenfalls in sehr engen Grenzen. Die damals bekannten Argumente sind offenkundig zu schwach, um einen so schweren Verdacht zu erhärten.
Die Position derer, die erklären, in dem Fall sei alles mit rechtsstaatlichen Mitteln zugegangen, scheint hingegen gut zu sein: ein rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth aus dem Jahr 2006, sogar vom Bundesgerichtshof bestätigt. Die Strafvollstreckungskammern verschiedener Gerichte in Bayern haben die Unterbringung Jahr für Jahr bestätigt. Es gibt psychiatrische Gutachten, auf die sich Ministerin und Justiz berufen, und diese stammen zum Teil von Koryphäen der Sachverständigenszene.
Und auf der anderen Seite? Steht ein Mann, der rechtskräftig für krank und gemeingefährlich erklärt ist – seit Jahren in der Psychiatrie sitzt und jegliche Therapie oder medikamentöse Behandlung verweigert. Da muss man sehr stichhaltige Fakten dafür finden, dass an der Sache möglicherweise etwas nicht stimmt.
Trotzdem schafft es der Fall am 8. März 2012 erneut ins Parlament. Und was Ministerin Merk an diesem Tag den Abgeordneten im Rechtsausschuss des bayerischen
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