Die Affäre Mollath: Der Mann, der zu viel wusste (German Edition)
Schilderung von Mollaths Geschichte; sie ist naturgemäß lang. So lang, dass sich Pfäfflin zwischendurch kurz das Zimmer Mollaths zeigen lässt. Dessen Zimmerkollege liegt gerade im Bett. Er steht auf und zeigt Pfäfflin Schimmel am Duschvorhang und an der Wand. Interessant: In einem Krankenhaus schimmelt es. Liegt es möglicherweise auch an solchen Zuständen, dass sich Mollath als Häftling und nicht als Patient bezeichnet?
In dem Gespräch zwischen Mollath und dem Gutachter Pfäfflin gibt es später einen extrem spannenden Moment. Man würde den Professor tatsächlich sehr gerne zu seinem Gutachten befragen, leider spricht er darüber nicht mit uns. Pfäfflin, so hat er selbst notiert, habe Mollath in dieser Situation mit dem Problem konfrontiert, das man als Gutachter grundsätzlich habe: Man müsse als Sachverständiger davon ausgehen, dass das rechtskräftige Urteil in sich, jedenfalls in den wesentlichen Zügen, stimmig sei. Ein Gutachter, sagt Pfäfflin, der sich darüber einfach hinwegsetze, bugsiere sich selbst »ins Aus«.
Da teilt ein Gutachter einem Insassen einer geschlossenen Anstalt seine Probleme mit. Ist das üblich? Oder könnte das daran liegen, dass Pfäfflin, der die Akten natürlich zuvor studiert hat, ebenfalls schon Zweifel gekommen sind, ob das alles so stimmen kann, was da drinsteht. Oder: Kommen Pfäfflin Zweifel, als er diesem Mann gegenübersitzt, der seine Argumente in einer unaufgeregten Art vorträgt?
Es kommt noch schöner: Der Gutacher Pfäfflin stellt Mollath im November 2010 die Frage, die sich exakt zwei Jahre später sehr viele Menschen in Deutschland stellen werden: warum denn bitteschön Mollaths »Wiederaufnahmeverfahren bisher noch nicht auf den Weg gebracht« worden sei. Das ist nun wirklich sehr hübsch. Wer die Akten gelesen hat, dem sollte aufgegangen sein, dass möglicherweise gerade die Zunft der Gutachter eine nicht ganz unerhebliche Rolle dabei gespielt hat. Nun sitzt ein Gutachter bei Mollath – und fragt ihn, wie das denn sein könne, dass es da bislang keine Wiederaufnahme gebe.
Was soll Mollath nun darauf antworten? Dass es exakt diese Frage ist, die ihn seit Jahren pausenlos umtreibt? Und dass er genau diese Frage sehr gerne selbst mal beantwortet bekommen hätte: und zwar von Juristen und Gutachtern?
Pfäfflin will noch einmal zurück zur fehlgeschlagenen Begegnung zwischen seinem Berliner Kollegen Kröber und Mollath. Pfäfflin wählt eine bemerkenswerte Formulierung: Ob Mollath nicht einfach »eingeschnappt« gewesen wäre, weil sich »dieser Gutachter nicht, wie in seinem Artikel gefordert, rechtzeitig zur Untersuchung angekündigt« habe? Mollaths Antwort: Mit »eingeschnappt« habe das gar nichts zu tun. »Ich wollte erst Einblick in die Krankenakte haben, um alles aus dem Weg zu räumen, was dort nicht stimmt«, sagt er.
Mollath erzählt dann davon, dass er sich 2006 freiwillig vor der Lorenzkirche habe festnehmen lassen. Er wollte dies unter Zeugen tun, weil seine erste Festnahme ein Jahr zuvor für ihn auf so traumatische Art vonstattengegangen sei. Mollath erwähnt auch, dass diese Festnahme kurioserweise falsch im Urteil des Jahres 2006 wiedergegeben wurde – und noch einige Details mehr aus seiner Geschichte. Zum Beispiel, wie ihn Richter Brixner angeschrien habe.
Daraufhin interveniert Pfäfflin: »Lassen Sie uns einmal einhalten. Eine Geschichte, die Sie erzählen, klingt schrecklicher als die andere; lassen Sie uns noch einmal zu übergeordneten Gesichtspunkten kommen.«
Mollath führt noch weitere Details seiner Geschichte auf. Und dann konfrontiert ihn Pfäfflin mit einer »Überlegung«: dass es sein könne, »dass es Situationen im Leben gibt, […] in denen man womöglich Unrecht erleidet und Leid ertragen muss«, und zwar ohne je recht zu bekommen oder entschädigt zu werden.
Wenn der Sachverständige Pfäfflin den Insassen Mollath mit dieser Überlegung konfrontiert, heißt das dann nicht, dass Pfäfflin es für wahrscheinlich hält, dass Mollath seine Geschichte in diesen Details gar nicht frei erfinden kann?
Es folgt ein besonders Bonmot aus dem klinischen Alltag. Pfäfflin beschreibt ein Gespräch mit einem Oberarzt der Klinik, in dem dieser erläutert habe, dass Mollath ständig Anträge und Eingaben schreibe, »so dass man gar nicht dazu komme, seine Gefährlichkeit zu beurteilen«. Langsam: Die Klinik kommt gar nicht dazu, die Gefährlichkeit Mollaths einzuschätzen. Weil dieser Anträge schreibt. Mollath ist wegen
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