Die Ahnen der Sterne: Roman (German Edition)
Gewebe. Sie hatte den chinesischen Gesandten Kao Chih gesehen, der geholfen hatte, die Kolonisten von Scheiterhaufen zu retten. Jetzt waren sie auf der Flucht vor Kriegsschiffen des Sonnenauge-Monoclans, dieser überaus erfolgreichen Handelsorganisation, die von einer Gruppierung der Hegemonie geleitet wurde, die sich »Geläuterte« nannten. Es handelte sich um Sendrukaner, deren Bewusstsein aus medizinischen Gründen oder zur Strafe gelöscht worden war. Jetzt wurde der Wirtskörper von der implantierten AI beherrscht. Dass dies beim Zyradin und bei Segrana Unbehagen auslöste, war nicht verwunderlich.
Ein weiterer Ereignisstrang drehte sich um Theo Karlsson, Rory McGrain, den Uvovo-Seher Chel und den Cyborg-Legionsritter, der den Warpbrunnen in seine Gewalt gebracht und entsperrt hatte. Eine weitere Akteurin war die geheimnisvolle Chaurixa-Terroristin Corazon Talavera, die wie die Geläuterten Angst und Schrecken verbreitete, allerdings auf einer noch elementareren, grauenhafteren Ebene.
Und dann war da noch Julia.
In der dunklen, fernen und verstörenden Vergangenheit hatten Julia Bryce und Catriona als Studenten im Zhilinsky-Haus gelebt, einer Wohneinrichtung des Programms Neue Kinder. Alle Studenten waren entweder Waisen gewesen oder in die Obhut des PNK übergeben worden. Alle waren schon im Embryonalzustand genetischen Veränderungen unterzogen worden, die das Ziel verfolgten, Menschen mit überlegenem Verstand zu erschaffen, die das ganze Potenzial ihres Intellekts nutzen konnten. Bei Erreichen der Pubertät hatte Catrionas Verstand sich nicht mehr den Erwartungen gemäß weiterentwickelt, während Julia Bryce Erfolge am laufenden Band errang.
Vor Kurzem waren Julia und mehrere andere Getunte von Talavera gefangen genommen worden. Vermutlich unter Zwang hatten sie die überlegenen Waffen hergestellt, mit denen das brolturanische Schlachtschiff Läuterer zerstört und der Erdsphäre-Kreuzer Herakles zum Rückzug gezwungen worden war.
In das weitläufige Netz Segranas versponnen, am Rande des rätselhaften Zwiegespräch mit dem Zyradin schwebend, hatte Catriona auch Julias Bild unter den äußeren Splittern erspäht und ein Geflüster vernommen, in dem Hoffnung und Angst mitschwangen. Sie hatte versucht, die Fragmente mit einem zarten Gewebe von Mutmaßungen zusammenzufügen, doch erst nach ihrer Begegnung mit Greg hatte sie genug Splitter gesammelt, um ein halbwegs kohärentes Bild daraus zu formen.
Trotz der fehlenden Details verschlugen ihr die Implikationen die Sprache. Talavera hielt Julias Leben in der Schwebe, doch es gab noch dunklere Motive, welche die beiden miteinander verbanden. Julia war auch mit der Erde verbunden, eine Beziehung, die Gregs Schicksal und das Dariens entscheiden würde. Julias Überleben war ungewiss, doch da war ein Endpunkt, eine nur undeutlich erkennbare Konvergenz gewaltiger Kräfte, ein Brennpunkt, an dem Segrana und noch etwas anderes teilhatten, weit draußen unter den Sternen …
Das Netz der Mutmaßungen dröselte sich auf, der Ausblick in die Zukunft verblasste. So viele Ungewissheiten, so viele Lücken, die sie mit Mutmaßungen zu füllen suchte. Der klassische Irrtum des Forschers bestand darin, dass er den nicht durch Daten belegten Leerstellen seine eigenen Erwartungen aufprägte. Es war durchaus möglich, dass auch Segrana oder der Zyradin diesen Fehler begingen und damit die unterschwellig wahrnehmbaren Meinungsverschiedenheiten auslösten.
Eines aber war gewiss – im Weltraum zwischen Niwjesta und Darien stand Greg im Begriff, sich in ein lebensgefährliches Chaos zu stürzen.
Aber selbst wenn ich dich vorgewarnt hätte, du wärst trotzdem an Bord des Raumschiffs gegangen!
3 Kao Chih
Auf der Polsterliege festgeschnallt, war Kao Chih gegen den unsanften Abstieg in die Atmosphäre Scheiterhaufens bestens gewappnet. Das Tosen der Triebwerke des Raumschiffs der Vox Humana wurde durch den eng sitzenden Helm gedämpft, den der Kommandant ihm aufgedrängt hatte. Beim Anlegen des Schutzanzugs war ihm der Körpergeruch des Vorbenutzers in die Nase gestiegen, schaler Schweißgeruch gemischt mit Kräuterduft. Unwillkürlich fragte er sich, welchen Geruch er wohl hinterlassen würde. Auf der rüttelnden Liege fand er die Ausdünstung seltsam beruhigend. Vor ihm lag ein gefährlicher Einsatz, nämlich die Evakuierung der letzten Angehörigen der Menschenkolonie auf Scheiterhaufen, ferne Verwandte, aber immer noch Angehörige seines eigenen Volkes. Mit
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