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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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fiel der
Fährmann ein, »denn die Milhonne hatte einen
hübschen Sparpfennig.«
    »Ja,« ergänzte Anton,
»aber kaum war er verheiratet, als er ihr alles wegnahm, sie
mißhandelte und grausam Not leiden ließ. Er
würde sie am liebsten Hungers sterben lassen.«
    »Aber mit dem Gelde verstand er besser
umzugehen,« sagte der Schiffer, »er hat es
tüchtig vermehrt und ist heute ein schwer reicher
Mann.«
    Nachdem sie gelandet waren, führte Anton den Marquis
auf das Gehöft Tongeroux.
    Der Bauer, ein kleiner rothaariger Mensch mit unstetem Blicke,
war in der ganzen Gegend wegen seiner Grobheit bekannt, als er aber
hörte, daß es sich um ein Geschäft handelte
– und gar um den Verkauf von Clameran, das ihm schon
längst in die Augen gestochen – war er ganz
Unterwürfigkeit und Dienstbeflissenheit.
    Er führte seine Besucher in die »gute
Stube« und rief im Vorübergehen einem alten Weibe,
das in der Küche hockte, barsch zu, es möge sich
sputen und für den hochgeborenen Herrn Marquis von Clameran
vom besten Wein aus dem Keller holen.
    Bei dem Namen fuhr die Alte überrascht empor, sie
schien sprechen zu wollen, allein ihr Mann wiederholte den Befehl und
erschrocken gehorchte sie, brachte eine Flasche Wein und drei
Gläser und ließ sich dann in einem Winkel nieder.
    Der Anblick des Marquis weckte alte Erinnerungen,
ließ längst vergangene Zeiten wieder aufleben.
    Sie hatte ihren Schwur, den sie damals der alten
Gräfin während der Messe leisten mußte,
gehalten und das Geheimnis treulich bewahrt, aber jetzt, beim Anblick
Louis', fragte sie sich, ob reden nicht Pflicht sei? Und
während die Männer verhandelten, wälzte sie
die Frage in ihrem armen schwachen Kopfe hin und her. Längst
schon wähnte sie, ihr Elend sei nur die Strafe Gottes, weil
sie jenen Eid geleistet, und vielleicht würde sich ihr Los zum
Besseren wenden, wenn sie sich dem Bruder Gastons anvertraute.
    Inzwischen wurde der Handel abgeschlossen. Tongeroux hatte
einen so lächerlich niedrigen Preis für Clameran
geboten, daß die Bretter und Balken am Gebäude, wie
Anton sagte, mehr wert waren. Aber der schlaue Bauer hatte sofort
bemerkt, daß der Marquis sich in der Klemme befand und
entschlossen war, um jeden Preis zu verkaufen, daß er sich
nicht zu vielen Zugeständnissen herbeiließ.
    Endlich wurden sie handelseinig – der letzte Marquis
von Clameran gab das Schloß seiner Väter für
den schnöden Preis von 5280 Frank hin.
    Nachdem der Handel mit einem kräftigen Handschlag und
den landesüblichen Worten: »Es gilt«
abgeschlossen war, begab sich der Güterhändler in den
Keller, um aus einem Versteck, der nur ihm bekannt war, eine Flasche
»vom allerbesten« zu holen.
    Die Abwesenheit ihres Mannes schien der alten Milhonne ein
günstiges Zeichen. Sie erhob sich, trat auf Louis zu und sagte
rasch und leise: »Herr Marquis, ich muß Sie ohne
Zeugen sprechen.«
    »Mich?« fragte dieser verwundert.
    »Ja, es ist ein höchst wichtiges Geheimnis,
das ich Ihnen offenbaren muß. Ich beschwöre Sie,
kommen Sie heute abend in unseren Olivenhain, da werde ich Ihnen alles
sagen.«
    Sie kehrte an ihren Platz zurück und als ihr Mann
wieder ins Zimmer trat, saß sie so still und in sich versunken
in ihrem Winkel, wie vorher.
    Tongeroux hatte mit vergnügtem Gesichte die staub-
und spinnwebbedeckte Flasche entkorkt, die Gläser
gefüllt und auf das Wohl des Herrn Marquis von Clameran
getrunken.
    Als Louis mit seinem Begleiter wieder im Boote saß,
dachte er an das sonderbare Stelldichein, das ihm die Alte gegeben, und
fragte: »Was zum Henker kann denn die alte Hexe von mir
wollen? Natürlich fällt es mir gar nicht ein,
hinzugehen.«
    »Das sollte der Herr Marquis vielleicht doch nicht
unterlassen,« antwortete Anton. »Die Milhonne war bei
der Gräfin von Laverberie in Diensten; sie kann vielleicht
etwas wissen, was Ihren verstorbenen Herrn Bruder betrifft.«
    Diese Worte erregten Louis' Neugierde und mit Einbruch der
Dunkelheit begab er sich auf den von der Alten bezeichneten Platz.
    Sie erwartete ihn schon.
    »Was haben Sie mir zu sagen?« fragte er kurz.
    »O, sehr viel, Herr Marquis. Aber zuerst erlauben Sie
mir eine Frage: Haben Sie Nachrichten von Ihrem Herrn Bruder?«
    »Wie können Sie nur so fragen,«
entgegnete Louis, der dachte, die Alte sei nicht richtig im Kopfe.
»Mein Bruder ist in der Rhone umgekommen.«
    »Ist's möglich, daß Sie wirklich
nicht die Wahrheit

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