Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
inzwischen alle ein bißchen in die Jahre gekommen.«
»Jawohl, Kamerad«, sagte Memmers offensichtlich geschmeichelt.
»Alles, was ich von dem Burschen weiß, ist seine Autonummer. Eine Hamburger Nummer.« Der Werwolf las sie langsam zum Mitschreiben vor.
»Haben Sie das?«
»Jawohl, Kamerad.«
»Ich möchte, daß Sie selbst nach Hamburg fahren. Ich will den Namen und die Anschrift dieses Burschen erfahren. Ich will wissen, welchen Beruf er ausübt, ob er Familie hat und wenn, ob es außerdem noch weitere Personen gibt, die von ihm abhängen. Dann, was für einen Umgang, welche gesellschaftliche Stellung und so weiter … Sie wissen schon, das Übliche, Personalbeschreibung, Hintergrund, Motivation. Wie lange brauchen Sie dazu?«
»Etwa achtundvierzig Stunden«, sagte Memmers.
»Gut, dann rufe ich Sie in achtundvierzig Stunden wieder an. Noch etwas – unter gar keinen Umständen darf der Betreffende etwa direkt kontaktiert oder angesprochen werden. Wenn irgend möglich, sind die Nachforschungen so anzustellen, daß er davon nichts ahnt. Ist das klar?«
»Völlig klar, Kamerad. Kein Problem.«
»Sobald Sie die Aufgabe durchgeführt haben, machen Sie Ihre Aufstellung. Wenn ich Sie anrufe, können Sie mir gleich sagen, welche Kosten Sie gehabt haben.«
Memmers wies dies Ansinnen weit von sich.
»Daß ich eine Rechnung aufmache, kommt gar nicht in Frage. Nicht für eine Sache, die unsere Kameradschaft betrifft.«
»Verstehe. In zwei Tagen rufe ich Sie wieder an.« Der Werwolf legte auf.
Am gleichen Nachmittag fuhr Miller von Hamburg aus über die Autobahn wieder in Richtung Rheinland wie vierzehn Tage zuvor. Diesmal war Bonn sein Ziel, die langweilige kleine Stadt, die die unverhoffte Ehre, Bundeshauptstadt geworden zu sein, Konrad Adenauer zu verdanken hatte – oder vielmehr dem Umstand, daß sie von dessen Haus in Rhöndorf nicht allzuweit entfernt lag.
Auf der Gegenfahrbahn fuhr Memmers Opel kurz hinter Bremen an Millers Jaguar vorüber und in Richtung Hamburg. Keiner der beiden Männer wußte vom anderen.
Es war schon dunkel geworden, als Miller Bonn erreichte. An der ersten Kreuzung stoppte er bei dem weißbemützten Verkehrsschutzmann und fragte ihn nach dem Weg zur britischen Botschaft.
»Die machen schon in einer Stunde zu«, sagte der Polizist in rheinischem Tonfall.
»Dann muß ich mich wohl beeilen«, sagte Miller. »Wie komme ich also auf dem schnellsten Weg hin?«
Der Polizist deutete die Straße hinunter nach Süden.
»Fahren Sie immer geradeaus und folgen Sie den Straßenbahnschienen. Ein paar Kilometer weiter heißt diese Straße dann Friedrich-Ebert-Allee. Fahren Sie nur immer den Schienen nach. Wenn Sie praktisch aus Bonn heraus und fast schon in Bad Godesberg sind, sehen Sie das Botschaftsgebäude auf der linken Straßenseite. Es ist erleuchtet, und davor steht ein Flaggenmast mit der britischen Fahne.«
Miller dankte ihm und fuhr weiter. Die britische Botschaft lag zwischen einem Bauplatz auf der Bonner Seite und einem Fußballplatz auf der anderen. Dezembernebel stieg hinter der Botschaft vom Strom her auf. Die Umgebung der Botschaft war eine einzige Schlammwüste. Das Botschaftsgebäude war ein von der Straße zurückgesetzter langgestreckter, niedriger Betonbau, den die britischen Zeitungskorrespondenten in Bonn die »Hoover(Staubsauger-)Fabrik« nannten. Miller bog von der Straße in die Auffahrt ein und stellte den Wagen auf dem Besucherparkplatz ab.
Er ging durch eine holzgerahmte Glastür in die kleine Halle. Zu seiner Linken saß eine Empfangsdame mittleren Alters an einem Tisch. Hinter ihr war ein kleiner Raum mit zwei Männern in blauen Sergeanzügen; Miller erkannte sie auf den ersten Blick als ehemalige Armeesergeants.
»Ich möchte den Presseattaché sprechen«, sagte Miller in stockendem Schulenglisch. Die Empfangsdame machte ein besorgtes Gesicht.
»Ich weiß nicht, ob er noch im Haus ist. Freitag nachmittag gehen die Herren meist etwas zeitiger.«
»Versuchen Sie doch bitte, ihn noch zu erreichen«, sagte Miller und zückte seinen Presseausweis.
Die Empfangsdame warf einen Blick darauf, griff nach dem Hörer ihres Hausapparats und wählte eine Nummer. Miller hatte Glück. Der Presseattaché war gerade im Begriff, das Haus zu verlassen. Anscheinend erbat er sich ein paar Minuten Zeit, um Hut und Mantel wieder abzulegen. Miller wurde in ein Wartezimmer geführt, dessen Wände Rowland-Hilder-Drucke von herbstlichen Ansichten der Cotswold Hills schmückten. Auf
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