Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
in einer Ecke standen zwei grau angestrichene Aktenschränke.
»Ich leite unser Bonner Büro von zu Hause aus«, bemerkte er lächelnd, als sie das Arbeitszimmer betraten. »… Das hier ist mein eigenes Archiv, und ich bin vermutlich der einzige, der sich darin zurechtfindet. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
Er wies auf die beiden Archivschränke.
»Der eine davon ist mit alphabetisch geordneten Karteikarten über Personen vollgestopft, der andere mit einer Kartei, in der alle relevanten Sachgebiete alphabetisch erfaßt sind. Wir fangen am besten mit der Personenkartei an. Sehen Sie unter Roschmann nach.«
Es war eine kurze Suche. Einen Ordner mit dem Namen Roschmann gab es nicht.
»Na schön«, meinte Cadbury. »Dann versuchen wir es eben mit der anderen Kartei. Da kämen vier Stichwörter in Frage. Eines heißt ›Nazis‹, ein anderes ›SS‹. Dann gibt es eine ziemlich umfangreiche Abteilung mit der Überschrift ›Justiz‹. Sie ist in Unterabteilungen gegliedert; eine enthält Zeitungsausschnitte mit Berichten über Kriegsverbrecherprozesse. Aber das sind zumeist Prozesse, die seit 1949 in Westdeutschland stattgefunden haben. Das vierte Stichwort, unter dem wir etwas finden können, ist ›Kriegsverbrechen‹. Fangen wir damit an.«
Cadbury las schneller als Miller, aber es wurde Abend, bevor sie sich durch die Hunderte und aber Hunderte von Zeitungsausschnitten, die unter den vier Stichwörtern erfaßt waren, durchgearbeitet hatten. Schließlich stand Cadbury mit einem Seufzer auf, schloß die Kriegsverbrecher-Kartei und stellte sie zurück in den Aktenschrank.
»Ich bin heute abend leider zu einem Essen eingeladen«, sagte er. »Was uns noch durchzusehen bleibt, ist das hier.« Er wies auf die Karteikästen in den Regalen.
Miller schloß den Aktenordner, den er gerade durchgesehen hatte.
»Was ist da drin?«
»Sämtliche Berichte, die ich meinem Blatt im Verlauf von neunzehn Jahren geschickt habe«, sagte Cadbury. »Das ist die oberste Reihe. Darunter kommen Zeitungsausschnitte mit Reportagen und Artikeln über Deutschland und Österreich, die in den neunzehn Jahren erschienen sind. Natürlich sind eine Menge davon auch in der obersten Reihe enthalten. Das sind meine eigenen Berichte. Aber es gibt ja auch viele Artikel in der zweiten Reihe, die nicht von mir stammen. Schließlich haben auch andere Korrespondenten mal was in dem Blatt untergebracht. Und nicht alles, was ich schrieb, ist auch erschienen. Es sind etwa sechs Kästen pro Jahr, wir haben also noch eine Menge Arbeit vor uns. Zum Glück ist morgen Sonntag, und wenn Sie wollen, können wir den ganzen Tag weitermachen.«
»Sehr freundlich von Ihnen, sich solche Umstände zu machen.«
Cadbury zuckte mit den Achseln.
»Ich hatte ohnehin nichts vor an diesem Wochenende. Außerdem sind die Bonner Wochenenden zwischen Weihnachten und Neujahr alles andere als lustig. Meine Frau kommt nicht vor morgen abend zurück. Treffen wir uns doch gegen halb zwölf zu einem Drink im Cercle Français.«
Am Sonntagnachmittag stießen sie dann auf die Meldung. Anthony Cadbury war fast fertig mit der Durchsicht des Kastens »November/Dezember 19 471« und seinen eigenen Artikeln in der obersten Reihe. Plötzlich schrie er: »Ich hab’s!«, löste eine Klemme und zog ein vergilbtes einzelnes Blatt heraus. Es war mit Schreibmaschine beschrieben und vom 23. Dezember 1947 datiert.
»Kein Wunder, daß die Zeitung es nicht gebracht hat«, sagte er. »So kurz vor Weihnachten hätte sich auch niemand für einen festgenommenen SS-Verbrecher interessiert. Bei der Papierknappheit, die damals herrschte, wird die Weihnachtsausgabe ohnehin recht dünn gewesen sein.«
Er legte das Blatt auf den Schreibtisch und richtete den Schein der Arbeitslampe darauf. Miller beugte sich über das Blatt und las:
»Britische Militärregierung, Hannover, 23. Dezember. – Ein ehemaliger SS-Hauptsturmführer wurde kürzlich von britischen Militärbehörden in Graz, Österreich, festgenommen und befindet sich bis zum Abschluß weiterer Ermittlungen in militärpolizeilichem Gewahrsam. Das gab heute ein Sprecher der britischen Militärregierung im hiesigen Hauptquartier bekannt.
Der Mann, Eduard Roschmann, war von einem ehemaligen Konzentrationslagerinsassen in Graz auf der Straße erkannt worden, der Roschmann beschuldigt, Kommandant eines Lagers in Lettland gewesen zu sein. Nach der Identifikation, die in dem Haus vorgenommen wurde, in das der vormalige Lagerinsasse ihn
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