Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
der Schlüssel? Hatte Rabea damals Recht gehabt und der Vatikan war heute mit im Spiel? Ein weiterer Gedanke bemächtigte sich seiner: Und wenn es gar sein ehemaliger Orden war, die Jesuiten? Hatte Jules das andeuten wollen?
Jules sah, wie es hinter der Stirn seines Freundes arbeitete. Jetzt kam der schwierigste Teil; auf seinen Freund wartete eine weitere, unbequeme Wahrheit. Aus diesem Grund hatte er zuvor schon die van Kampen erwähnt.
Lukas war inzwischen zu einem eigenen Ergebnis gekommen: „Gut, du behauptest, dass entweder die Kirche oder die van Kampen hinter der Entführung stecken. Ich behaupte jedoch, dass es weder die Jesuiten noch der Vatikan sein können und zwar aus einem einfachen Grund: Wenn sie wirklich glauben, dass ich die Schriftrolle habe, warum sollten sie fast zwei Jahre warten, bis sie handeln? Das ergibt keinen Sinn, Jules.“
„Sehr gut, Lukas. Nur dass nicht der Kalif zur Haremsdame kommt, sondern die süße Blume zu ihm geleitet wird. Was ich meine, ist Folgendes: Ich denke auch, dass die van Kampen die Dokumente gestohlen hat. Mit Sicherheit setzt die katholische Kirche seit zwei Jahren alles daran, sie ihr abzujagen. Sie ist bis dato gescheitert. Nun scheint sie eine neue Taktik ersonnen zu haben. Du sollst für sie die Schriftrollen beschaffen, Lukas. Du kennst den Inhalt dieser Schriftrolle und weißt, wie überlebensnotwendig es für den geschwächten Kirchenstaat ist, sie in seinen Besitz zu bringen. Aus diesem Grund hat die Kirche deine Frau und deinen Sohn entführt. Sie benutzen dich als ihren Handlanger.“
„Heilige Scheiße!“, entfuhr Lukas der Lieblingsfluch seiner Schwester. Er starrte Jules an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. „Hörst du dir eigentlich selbst zu? Ehrlich, du klingst schon genauso paranoid wie Rabea damals. Weder der Vatikan noch mein ehemaliger Orden würden sich je auf eine so verrückte Sache wie eine Entführung einlassen! Das wäre kriminell“, wehrte sich Lukas vehement gegen Jules' Theorie.
„Du denkst zu idealistisch, Lukas. Das ist dein Problem. Darum ist es auch so leicht, dich an der Nase herumzuführen. Dir fehlt die Vorstellungskraft des Bösen. Was eigentlich verwundert, da du lange Priester warst. Ich dachte eigentlich, dass der Teufel an der Kirchenbörse hoch gehandelt wird.“
„Auf deine Spitzfindigkeiten kann ich durchaus verzichten“, schnaubte Lukas und sah demonstrativ zum Fenster hinaus. Der Himmel leuchtete in einem so intensiven Blau, dass es ihn beinahe blendete.
„Also gut“, setzte Jules neu an. „Von vorne, für Ex-Jesuiten. Ich räume ein, ein solcher Rechtsverstoß würde kaum von der obersten Kirchenriege angeordnet werden. Dafür sind diese Männer zu schlau. Aber in der Institution Kirche tummeln sich genügend Ehrgeizlinge, die um ihrer Karriere willen vor keinem Mittel zurückschrecken würden. Dafür gibt es in der Vergangenheit zig Beispiele. Der Zweck heiligt die Mittel. Hat der Philosoph Blaise Pascal damit nicht die Sittenlehre der Jesuiten angeprangert?
Die Wiederbeschaffung der Dokumente wäre für einen ehrgeizigen Kirchenmann ein toller Coup. Du musst in alle Richtungen denken, Lukas“, sagte Jules eindringlich. Und da Lukas sich weiter von ihm abgewandt hielt und stur in den Himmel starrte, fügte er hinzu: „Die Kirche und ihre Hintermännerkönnen nicht mit offenem Visier kämpfen, Lukas, aber sie wissen, dass du noch eine Rechnung mit der van Kampen offen hast. Du hast der Holländerin schon einmal eine empfindliche Niederlage beigebracht. Sie musste fliehen und sich jahrelang verstecken. Aber sie war nie ganz weg, Lukas.“
„Was soll das heißen?“ Lukas beäugte seinen Freund jetzt misstrauisch. Etwas in Jules' Stimme hatte ihn alarmiert.
„Das heißt, dass die van Kampen es mit ihrem Vermögen und dem politischen Einfluss, den sie als Witwe Jaap Leysieffers genießt, endgültig geschafft hat, sich freizukaufen. Es wird von ihrer baldigen Rückkehr auf das gesellschaftliche Parkett gemunkelt. Ich vermute, dass dieses Gerücht die Hintermänner im Vatikan auf den Plan gerufen und sie zum sofortigen Handeln gezwungen hat. “
Lukas holte zischend Luft. Jules fuhr unbeirrt fort: „Die van Kampen hasst die Kirche und will ihr mit aller Macht schaden. Dazu scheint sich nichts mehr zu eignen als Bentivoglios Vermächtnis. Sobald sie in der Öffentlichkeit rehabilitiert wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie das wichtigste Dokument der Christenheit veröffentlicht.
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