Die Albertis: Roman (German Edition)
grundsätzlich nicht auf. Es gab, leider, auch keinen Grund dafür. Er hatte keinen Job, keinen Studienplatz, nicht einmal Aufgaben im Familienalltag. Meistens tauchte er erst gegen Mittag auf, holte sich etwas zum Essen aus dem Kühlschrank, trank den Rest kalten Kaffees, den Anne ihm in einer großen Kakaotasse aufbewahrt hatte und den er mit H-Milch mischte. Bei den anderen legte Anne jedoch größten Wert darauf, dass sie anständig frühstückten, die Regel «Morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettelmann» war unverrückbarer Teil ihres Erziehungsprogramms, das sie genauso von ihrer Mutter übernommen hatte und das zum Glück auch Paul unterstützte. Es gab frische Brötchen, die Frau Merk mit dem Fahrrad beim Bäcker geholt hatte, Tee und Kakao, Müsli, Yoghurt, frisch gepressten Orangensaft, Honig, Nutella, Marmelade und Käse. Anfangs hatte sie für alle Kinder Schulbrote geschmiert und liebevoll kleine Butterbrotpäckchen gepackt, denen sie mal einen Apfel, mal einen Schokoladenriegel beilegte, doch Anuschka brachte alles immer wieder unberührt mit nach Hause zurück, und Laura schmeckte dies nicht und das nicht, Frau Merk zog ein langes Gesicht, weil Anne ihr diese Arbeit wegnahm, sodass sie es schließlich ihr, der Haushälterin, überließ, diesen Teil wieder zu übernehmen. Ohnehin hatte sich das Verhältnis zu Frau Merk eher verschlechtert als verbessert. Anne spürte förmlich, wie unwillig sie Arbeiten erledigte, die sie ihr aufgetragen hatte, und mit welchem inneren Groll sie Aufträge entgegennahm. Jedes Mal gab es Streit.
«Bei Frau Ross haben wir es immer so gemacht, dass ...» «Nein, die Betten habe ich noch nicht frisch bezogen, ich kann mich ja nicht zerreißen ...»
«Der Herr Doktor mag nicht, wenn ich mittags die Küche mache. Er sagt, er will dann seine Ruhe ...»
«Das weiß ich nicht, wo das liegt ...»
Und so weiter und so fort. Anfangs hatte sich Anne mit ihrem Beharrungsvermögen immer wieder auf unendliche Diskussionen eingelassen. Irgendwann aber gab sie nach, überließ Frau Merk das Feld in der Annahme, sie sei die Klügere. Dass die Haushälterin aber heimtückisch war und ihr noch eine Menge Kummer bereiten sollte, ahnte sie nicht.
In den ersten Wochen, wenn die beiden Kleinen mit dem Frühstücken fertig waren, brachte sie Laura und Luis mit ihrem Volvo zur Schule. Dann aber fing Luis an herumzujaulen, er sei kein Baby mehr und ihm sei es gegenüber seinen neuen Klassenkameraden, die ihn ohnehin ziemlich triezten, peinlich, allmorgendlich von seiner Mutter gebracht zu werden. Wahrscheinlich hatte er sogar Recht. Sie ließ ihn mit seinem Mountainbike allein fahren (oder, wenn sie zur selben Stunde Unterrichtsbeginn hatten, gemeinsam mit Laura). Die beiden wurden schnell zu einer untrennbaren Einheit. Wenn sie aus der Schule kamen, aßen sie zusammen in der Küche zu Mittag. Ihre Hausaufgaben machten sie, unablässig herumalbernd, gemeinsam in einem der Kinderzimmer. Waren sie damit fertig (und Anne überprüfte das), durften sie spielen gehen. Wenn sie nicht vor dem Computer oder dem Fernseher hingen, tobten sie draußen herum, bevorzugt hinter dem Garten, wo sie den verrosteten Drahtzaun heruntergetrampelt hatten und sich in dem wilden, sumpfigen Naturschutzgebiet ihr Paradies schufen, ihren Abenteuerspielplatz, ihr Märchenland.
Das Umtopfen von Luis, wie Anne es bezeichnete, gelang am besten. Er schien weder seine alte Umgebung, die Wohnung, seine Freunde noch seinen Vater zu vermissen. Im Gegenteil: Er blühte auf, er kriegte Farbe, sein kleiner Körper wurde drahtig, er schoss in die Höhe, und man konnte förmlich dabei zusehen. Auch Laura hatte die neue Situation schneller als erwartet akzeptiert und war unbeschwert. Selbst an Tagen, wo sie ihre Mutter besuchte, kehrte sie fröhlich zurück und plapperte den ganzen Abend von ihren Erlebnissen bei Sybille und Ruth.
Wie Pavel und Edward mit allem umgingen, war schwer auszumachen. Über die Themen Wolf, Trennung, Umzug wurde nicht geredet, was auch daran lag, dass Pavel erst spätabends von der Arbeit wiederkam und danach meistens wegging, wohin auch immer. Edward entzog sich dem Familienalltag, er verbrachte oft den ganzen Tag in seinem Dachbodenstudio, und an den Wochenenden war er meistens bei Colleen, in Hamburg. Anne wollte von Anfang an klare Verhältnisse schaffen und hatte deshalb bei einem Kaffeetrinken mit Wolf – das in der Nähe ihrer alten Wohnung stattfand und Gelddingen
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