Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
und das Geräusch sich |300| entfernender Schritte. Als Hufeland sich umblickte, war der Raum schon zur Hälfte geleert. Wo sich vormals Studenten mit Philistern um die vordersten Plätze gestritten hatten, waren nun ganze Reihen unbesetzt.
Am Ende des Tages, nach mehr als zehn Stunden gründlicher Untersuchung, kam man zu dem Schluss, dass ein Blutsturz in der Lunge der Grund für den plötzlichen Tod gewesen war. Selbst der auffrischende Abendwind vermochte nicht den abscheulichen Geruch durch die weit geöffneten Fenster zu tragen und in aller Gänze zu beseitigen.
Professor Loder zog die blutverschmierten Handschuhe aus, während einige Studenten, die man hierzu abkommandiert hatte, schimpfend und zotige Witze reißend, die Reste der Schweinerei beseitigten, die inzwischen den ganzen Boden bedeckte. Hufeland gratulierte ihm zu der gelungenen Vorstellung und fragte, ob er ihn zum Essen einladen dürfe.
»Warum nicht?«, fragte Loder erfreut und wusch sich die Hände. Dann gingen sie hinaus. Hungrig und voller Verlangen nach frischer Luft.
Das Gasthaus
Zum Schwarzen Bären
war bis auf den letzten Platz gefüllt, doch gerade als sie sich entschlossen hatten, eine andere Schenke zu besuchen, wurde ein Tisch frei. Der Wirt eilte dienstbeflissen heran, um die beiden Herrn Professoren zu begrüßen, und es dauerte nicht lange, bis köstliches Essen vor ihnen stand.
Hufeland begann das Gespräch mit einigen Belanglosigkeiten und sah Loder dabei zu, wie er einen Braten mit Appetit verspeiste, als habe er nicht eben noch in den Gedärmen einer Toten gestochert. Schließlich aber nahm seine innere Unruhe überhand, und er beugte sich zu seinem älteren Kollegen.
»Ich habe etwas erfahren, was mich sehr erschüttert, und es liegt mir viel daran, Ihre Meinung dazu zu hören.«
Loder wischte sich den Mund mit einem Tuch ab. »Nur zu, lieber Christoph, was haben Sie auf dem Herzen?« Er winkte der Kellnerin, orderte einen Humpen Bier und noch einen Wein für Hufeland. |301| »Mir ist zu Ohren gekommen, dass mein Schwager keines natürlichen Todes gestorben ist.«
Loder legte das Tuch auf den Teller und verschränkte die Arme. »Wer hat Ihnen das erzählt?«
Die Gespräche im Hintergrund schwollen an, lautes Lachen wogte durch den engen Gastraum. Hufeland lehnte sich zurück, überging Loders Frage, spie seine plötzliche Vermutung aus. »Sie haben es gewusst.«
»Ja, mein Freund«, sagte Loder ruhig, »Sie haben wohl recht. Aber eher habe ich es befürchtet als gewusst.« Er zog die Stirn kraus. »Ihr Vater hatte mich damals gebeten, den Toten für die Überführung nach Weimar zu präparieren. Man ging in der Tat davon aus, dass er einer Erkrankung erlegen war, denn Weber hatte in den Tagen zuvor mehrfach von Mattigkeit erzählt und von anhaltenden Magenschmerzen. Zuletzt hatte er seine Vorlesungen absagen müssen, weil schleichendes Fieber hinzugekommen war, das ihn zu strenger Bettruhe zwang. Ich war in Sorge und wollte ihn besuchen, doch er öffnete nicht die Tür. Sie können sicher sein, dass ich am Tag der Präparation alles tat, um die Ursache für seinen Tod zu finden, doch es war mir nicht erlaubt, den Körper zu öffnen, also blieb ich ohne Beweis.«
»Und Sie haben der Familie nichts davon gesagt?« Es klang schroffer, als Hufeland gewollt hatte.
Die Bedienung brachte die bestellten Getränke, und Loder fuhr erst fort, nachdem er einen kräftigen Schluck von seinem Bier getrunken hatte. »Als ich Ihren Schwager das letzte Mal sah, äußerte er einen grauenhaften Verdacht, und im Nachhinein glaube ich, dass er sogar noch mehr wusste, als er mir damals offenbarte. Er hatte Angst um Ihr Leben und um das Wohl der Menschen dieser Stadt. Als man ihn fand, war eine mehrfach gewundene Spur auf dem Laken, geschrieben mit Blut. Doch an seinem Körper war keine Wunde zu sehen.«
»Was hat er Ihnen erzählt? Hat er Namen genannt?«
»Nein. Wir sprachen zwar über Professor Gruner und die Gruppe Studenten, die dieser gern um sich scharrte, aber Gruner war später |302| maßgeblich daran beteiligt, die geheimen Orden zu verbieten, was ihn aus dem Kreis der Verdächtigen befreit. Er mag ein seltsamer und verschrobener Mann sein, und wir hatten unsere Differenzen, aber das ist inzwischen beigelegt. Was er seinen Studenten beibringt, dient dem Erhalt alten Wissens. Nie würde Gruner Hand an andere legen. Ihr Schwager erzählte hingegen von einer Verbindung, die sich der Aufgabe verschrieben habe, das Leben zu
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