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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Koschyk
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verlängern, und sich dabei unrechtmäßiger Mittel bediente, die Menschenleben kosteten. Zudem soll dieser Orden junge Mädchen in rituellen Handlungen missbraucht haben. Er war diesem Treiben auf die Spur gekommen und bat mich um Hilfe, doch ich habe sie ihm nicht geben können.« Loder sah ihn nachdenklich an. In seinem Blick stand Bedauern. »Ich habe der Familie nichts davon erzählt, weil die Warnung, die man mit der Blutspur ausgesprochen hatte, wohl auch an mich gerichtet war.«
    »An Sie?«
    »Ja.« Loder trank einen Schluck seines Bieres. »Nachdem Ihr Schwager mir von diesen Ungeheuerlichkeiten erzählt hatte, wurde mir bewusst, dass sich direkt vor meinen Augen noch etwas ganz anderes abspielte. Sie selbst haben mich damals auf die eigentümlich hohe Zahl junger Mädchen aufmerksam gemacht, die zum Entbinden ins Accouchierhaus kamen.«
    »Sie taten es damit ab, dass sich erst seit der Eröffnung zeigte, wie viele ledige Mädchen vorher im Wald oder mit Hilfe weiser Frauen entbunden hatten.«
    »So ist es. Als nun Ihr Schwager von jenen Ritualen sprach, in denen nicht nur Blut floss, machte ich mir meinen eigenen Reim darauf. Ich entschloss mich, Dürrbaum um Auskunft über die genaue Zahl der Einweisungen zu bitten. Er als Hausvogt des Entbindungshauses hatte den Überblick, denn ihm oblag auch die Führung der Bücher.«
    Dürrbaum. Hufeland dachte an den Tag, als er vergeblich versucht hatte, Johann Vogt zu sprechen. Es war Dürrbaum gewesen, der ihn warnte, rasch nach Hause zu laufen, als man seine Stube zerstörte. Was hatte er mit den Vorfällen zu tun?
    |303| »Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Ja, doch seine Auskünfte waren nur unzureichend und konnten meinen Verdacht nicht erhärten. Also habe ich zwei Mädchen befragt, die zu jener Zeit im Accouchierhaus lagen. Dabei fielen mir die seltsamen Narben auf, die sich um ihre Handgelenke rankten. Die Mädchen hatten Angst. Keine von ihnen wollte auf meine Fragen antworten, doch als ich von den Experimenten sprach, von Ritualen und Bluttransfusionen, da bemerkte ich, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Ich beschloss, mit Griesbach darüber zu sprechen, der zu jener Zeit Prorektor war, doch dann rief man mich zum Hause des Theologieprofessors Weber.«
    »Wer hatte Sie dorthin gerufen?«
    »Die Polizeikommandantur. Jemand hatte Ihren Schwager gefunden und sie verständigt, doch der Fall stand unter der Aufsicht der Universitätsbehörde, also rief man einen von uns.«
    »Warum Sie und nicht den damaligen Prorektor Professor Griesbach?«
    »Das habe ich mich auch gefragt. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich es war, der die Blutspur zu Gesicht bekommen sollte, als Warnung zur Verschwiegenheit. Sie werden sich denken können, wie erschüttert ich war, als ich Professor Weber dort liegen sah. Die Blutspur war mit seinem Finger gezeichnet, eine deutliche Botschaft. Es war dieselbe Spur, die ich auf den Handgelenken der Mädchen gefunden hatte. Was hätte ich denn tun sollen? Ihr Schwager war tot, daran ließ sich nichts ändern. Hätte ich mein Leben riskieren sollen? Verbindungen und Orden gab es zu jener Zeit zahlreiche. Die ganze Stadt war damit verseucht. Jeder war irgendwo zugehörig, Burschen, Professoren, Angestellte der Universität. Ein dichtes Netz im Untergrund, wie das einer Spinne. Auch wenn man im Professorenclub oft darüber scherzte, man wusste nie, wem man trauen konnte und wem nicht. Ich war der festen Meinung, mehr ausrichten zu können, wenn ich den Studenten einen vernünftigen Umgang mit der Medizin beibrachte.« Er schüttelte den Kopf und wiederholte die Frage: »Hätte ich stattdessen mein Leben riskieren sollen?«
     
    |304| Hufeland ließ die Frage im Raum stehen. Aber er musste sich eingestehen, dass er wohl genauso wie Loder gehandelt hatte, als er sich den Verstrickungen entzog und zurück nach Weimar ging. Er fühlte sich elend.
    »Zudem«, fuhr Loder sichtlich zerknirscht fort, »sind die Verbindungen inzwischen verboten worden. Zumindest in dieser Angelegenheit konnte ich ein wenig Einfluss nehmen.«
    Wie genau dieser Einfluss ausgesehen haben mochte, war Hufeland nun einerlei. Seine Kehle schnürte sich zu, ihm wurde übel. Hastig warf er ein paar Münzen auf den Tisch, verließ überstürzt das Wirtshaus und drängte auf die Gasse, wo er sich mitten auf dem Pflaster erbrach.
     
    Mit einer geübten Bewegung entfernte Helene die Haut von den nass glänzenden Mandeln und legte sie in den Reibstein aus Granit.

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