Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
der Stadt, ja ganz Preußens«, sagte er. »Wenngleich ich gestehen muss, dass ich es noch nie habe kosten dürfen.« Dabei lächelte er geschäftstüchtig und zog den Hut, in den Hufeland einige Münzen fallen ließ.
|428| »Wenn Sie der Eignerin diesen Brief geben, bekommen Sie noch einmal so viel.«
Der Spielmann nahm den Umschlag entgegen und verzog den Mund. »Wäre schade, wenn wir zu spät kämen. Wie ich hörte, wollen die Besitzer für eine Weile verreisen«, sagte er und schob seinen Kasten voran, einen Teppich von Melodien hinter sich herziehend.
»Die Besitzer? Hat sie wieder geheiratet?«
Er zuckte die Schultern und ließ die Antwort in der Luft hängen.
Der Weg durch die Gassen schien endlos, dann endlich wies der Mann nach vorn. »Dort ist es.«
Von weitem sah Hufeland die neu verputzte Fassade, das prächtig gemalte Schild über der Tür. Ein Fenster war bereits verriegelt, und vor der Tür reihte sich eine lange Schlange Kunden.
»Passen Sie mir gut auf die Drehorgel auf«, sagte der Spielmann, strich den Lohn ein und drängte sich an den Wartenden vorbei ins Geschäft.
Hufeland stellte sich seitlich des Eingangs, beobachtete aus sicherer Entfernung das Geschehen, während seine Nervosität ins Unermessliche stieg. Hinter dem Tresen erkannte er Albert, der sich gerade über die Auslage beugte und Konfekt in kleine Schachteln füllte, seine helle Perücke wippte bei jeder Bewegung. Hufeland lächelte freudig, es schien ihm gut zu gehen.
Der Spielmann wechselte ein paar Worte mit ihm, Albert zeigte nach rechts, und Hufeland machte noch einen Schritt voran, um seiner Geste zu folgen. Dann sah er sie, und bei ihrem Anblick schlug sein Herz schneller. Sie stand ein wenig abseits und sprach mit einer Kundin. Helene trug ein hochgeschlossenes, elegantes Kleid in dunklem Blau, ihr blondes Haar war in der Mitte gescheitelt und zu einem Kranz geflochten, der sich um den Hinterkopf legte, weiche Löckchen umrahmten ihre Wangen.
Er lächelte versonnen. Sie hatte sich nur wenig verändert, vielleicht war sie mit den Jahren sogar noch schöner geworden.
Als der Spielmann ihr den Brief mit einer Verbeugung überreichte, war sie zunächst erstaunt, dann öffnete sie den Umschlag und begann zu lesen. »Christoph«, flüsterte sie, er las es von ihren |429| Lippen. Sie folgte dem Fingerzeig des Boten mit den Augen, sah ihn und lief mit einem erstaunten Lächeln hinaus auf die Straße.
Hufeland ging ihr entgegen. Er war nervös, sein Puls raste.
»Du bist gekommen«, sagte sie, als sie vor ihm stand, und sah ihn scheu an. »Dein Brief …«
»Ich habe alles so gemeint, wie ich es geschrieben habe. Wir wären nicht glücklich geworden, nicht unter diesen Umständen. Umso mehr hoffe ich, dass du jetzt noch frei bist.«
»Frei?« Voller Erwartung, aber auch augenzwinkernd blickte sie ihn an. »Wofür sollte ich frei sein?«
Ihre direkte Frage ließ ihn schmunzeln. »Für mich«, flüsterte er. »Oder hast du inzwischen …«
»Geheiratet? Nein. Albert ist der einzige Mann an meiner Seite.«
Er atmete erleichtert auf. »Ich hatte es gehofft.«
Einen langen Moment sahen sie sich in die Augen. Dann zog er sie an sich, zögernd. Doch als sie die Augen schloss, neigte er sich vor und küsste sie. Ihre Lippen waren warm und weich. Die Welt um sie schien vergessen, bis der Spielmann wieder seine Kurbel drehte und sich mit einer Verbeugung entfernte.
»Möchtest du den Rest deines Lebens mit mir verbringen?«, flüsterte Hufeland.
»Wir werden sehen«, sagte sie. Aber ihre Augen leuchteten.
Er drückte Helene fest an sich. Er würde sie nie wieder gehen lassen.
|431| EPILOG
TIERGARTEN BEI BERLIN
JULI 1831
|433| Die Abendsonne drang durch die grünen Baumkronen und zeichnete ein Wechselspiel von Licht und Schatten auf den Kies. Vom nahen Fluss drang ein leises Rauschen heran.
Hufeland ließ den Federstift sinken und sah Helene entgegen, die den Gartenweg entlang zur efeuumrankten Laube kam, in ihrem Arm ein Strauß Sommerblumen. Einige Haarsträhnen hatten sich gelöst und wehten im Wind; ihr Lächeln warf viele kleine Fältchen um ihre Augen.
»Hast du deinen Lebensbericht beendet?«, sagte sie mit Blick auf die beschriebenen Seiten, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
»Ja, das habe ich«, antwortete er. Die Biographie war die letzte Schrift, die er nach über vierhundert Büchern und Aufsätzen noch hatte verfassen wollen, und nun, da sein Augenlicht mehr und mehr schwand, hatte er damit sein
Weitere Kostenlose Bücher