Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
andere medizinische Therapien verwendeten, beschimpfte er als »Zwitterwesen« und »Halbhomöopathen, die im allopathischen Sumpfe kriechen«. Und als Hufeland 1826 den Versuch machte, die Homöopathie in einem öffentlichen Aufruf als eine von vielen Medizinrichtungen bei der skeptischen Ärzteschaft |450| zu etablieren, da nannte Hahnemann es ein wertloses Schriftstück, »das man tüchtig geißeln müsse«, und warf seinem langjährigen Unterstützer vor, er würde ein ungeheures Komplott gegen ihn anführen.
Es war also ein denkbar schlechter Start für diese Heilmethode, doch Hahnemanns Anspruch auf Alleinstellung, sein Bemühen, seine Lehre nicht durch eigenmächtige Erweiterungen seitens der Kollegen verwässern zu lassen, hatte seinen Grund: den katastrophalen Stand der Medizin im ausgehenden 18. Jahrhundert.
Bereits während des Studiums musste er erkennen, dass die nach außen getragene fachliche Eignung approbierter Ärzte, die sich zu jener Zeit mit allergrößtem Nachdruck über die Laienmedizin erhoben, oft bereits an ihrer Ausbildung scheiterte. Damals wurde an den Universitäten zur Erlangung der ärztlichen Kunst vorwiegend das humanistische Denken durch Lesen antiker philosophischer Texte geschult. Man zog seine Erkenntnisse aus alten Büchern, ohne jede Erprobung am Patienten. Anatomische Studien oder das Erlernen praktischer Arzneikunst waren nur in wenigen Städten möglich, weshalb die ungewöhnlichsten Theorien kursierten. Dachte man im 17. Jahrhundert noch, die Organe seien eine Art physikalischer Apparat, in dem allerlei gekocht wurde, traten nun immer neue Erkenntnisse aus den Bereichen der Botanik, Physik und Chemie zutage, von denen man die meisten rasch als unhaltbar erkannte und wieder verwarf.
Es hieß, Entzündungen seien eine Art Verstopfung der Blutgefäße und kleine Würmer Ursache aller Krankheit. Modeärzte und Wunderheiler hatten großen Zulauf, die Sehnsucht nach wissenschaftlich fundierten Methoden wuchs. Als der englische Arzt John Brown die Patienten nach der Art der Erregbarkeit, in »sthenisch« oder »asthenisch«, einteilte, wurde sein Ansatz mit großer Begeisterung aufgenommen und weiterverbreitet. Doch egal, nach welcher Lehre man zu heilen versuchte: Immer wieder wurde das Heil in der Entlastung des Körpers gesehen. Und so wurden die Patienten fleißig zur Ader gelassen, geschröpft und entleert, manchmal bis zu ihrem Tode.
|451| Im medizinischen Schrifttum jener Zeit sah es nicht anders aus. Vieles darin fußte auf weitergetragenen Erzählungen oder auf am eigenen Körper gemachten und verallgemeinerten Erfahrungen, selten war das Wissen Ergebnis langjähriger praktischer Arbeit.
Hahnemann, dem die Fehlerhaftigkeit und die sich oft widersprechenden Erkenntnisse ein Gräuel waren, erkannte die Notwendigkeit, ein System in das Durcheinander zu bringen und alle Theorien einer genauen Betrachtung zu unterziehen. Die von ihm übersetzten medizinischen und chemischen Schriften sind voller kritischer Randbemerkungen, in denen er auf sachliche Fehler hinweist und Dinge ins rechte Licht rückt.
Auch die Methoden der Alchemie fanden sein Interesse als Chemiker und Forscher. Und obwohl er sich stets um Distanzierung von allzu geheimen Wissenschaften bemühte, bediente er sich auch in seinen späteren Arbeiten immer wieder der Erkenntnisse der alten Mysterien.
Der Grundstein hierzu wurde vermutlich in den Jahren 1777 bis 1779 gelegt. Als Hausarzt (noch ohne Approbation) und Bibliothekar des Siebenbürgener Gouverneurs Baron Samuel von Brukenthal in Hermannstadt besaß Hahnemann Zugang zu einem der größten europäischen Bestände von Originalschriften mittelalterlicher Alchemisten. Darunter auch Werke des Arztes, Astrologen und Mystikers Paracelsus (1493–1541). In diesen Büchern waren auch Erfahrungen zur Heilung durch Ähnlichkeiten in den Arzneimitteln niedergeschrieben – eine der grundlegenden Erkenntnisse, die der Homöopathie den Weg bereiteten:
Similia similibus curentur
, Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt.
Diesen Gedanken findet man bereits in Gleichnissen der Bibel oder in alten griechischen Sagen. Und auch Hippokrates von Kos (460–377 v. Chr.), ein Eingeweihter der alten Mysterien und von Hahnemann in seinem
Organon der Heilkunst
zitiert, schreibt: »Durch das Ähnliche entsteht die Krankheit und durch Anwendung des Ähnlichen wird die Krankheit geheilt.«
Paracelsus griff diesen Gedanken im 16. Jahrhundert auf und wandte ihn auf die Signatur
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