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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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unheimlicher Auftritt, um ihn jetzt durch Gerede zunichte zu machen. »Die Waffe«, sagte er daher knapp und streckte die Hand aus.
    Aura schüttelte entschieden den Kopf.
    Ein fahles Lächeln huschte über die Züge des hageren Templers. Dann drehte er sich plötzlich um und trat aus dem Licht zurück in die Schwärze. »Folge mir«, verlangte er.
    Sekundenlang zögerte Aura. De Dion führte sie in eine Falle, daran gab es gar keinen Zweifel. Andererseits: Wenn Lysander und Morgantus sie töten wollten, hätten sie es längst tun können. Und dem Templer nachzugehen war die einzige Möglichkeit, Sylvette wiederzusehen.
    Sie schlug instinktiv einen Bogen um die Lichtsäule, in der de Dion gestanden hatte. Das war albern, aber es kam ihr vor, als könne seine Boshaftigkeit sie infizieren.
    Sie sah ihn nur als schwarzen Scherenschnitt, der vor ihr durch die Dunkelheit eilte, sich finster von den Lichtfäden abhob. Schließlich näherten sie sich einem weiteren Streifen aus Helligkeit, und erst als sie kurz davor stehenblieben, erkannte Aura, daß es kein Strahl von oben war, sondern ein Spalt zwischen zwei hohen Torflügeln. Dahinter flackerte gelbliches Licht.
    De Dion brauchte nicht anzuklopfen, man hatte ihn und Aura längst erwartet. Der linke Torflügel wurde nach innen gezogen. Zwei bewaffnete Männer in weißer Templerkluft erschienen im Schein einiger Wandfackeln. Die beiden warfen Aura finstere Blicke zu, sagten aber kein Wort. An ihren Gürteln hingen Schwerter, doch in den Händen hielten sie Gewehre, die zu der mittelalterlichen Atmosphäre des Klosters in bizarrem Kontrast standen.
    De Dion schüttelte stumm den Kopf und gab ihnen mit einer Geste zu verstehen, die Waffen zu senken. Immer noch wortlos führte er Aura durch eine Halle, deren Wände wie der Korridor mit kruden Malereien geschmückt waren. An der einen Seite standen zwei zerwühlte Liegen, offenbar die Nachtlager der beiden Wächter. Außerdem standen neben einem zweiten Tor in der Stirnseite des Saales ein schlichter Holztisch und drei Stühle. Eine offene Feuerstelle in der Mitte verbreitete Wärme, obwohl die Flammen heruntergebrannt waren und nur noch einzelne Glutpunkte in der Asche leuchteten.
    Aura konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Halle für eine gewöhnliche Wachstube viel zu weitläufig war.
    De Dion öffnete das zweite Tor. Dahinter lag ein enormes Treppenhaus. Sandfarbene Stufen, drei, vier Meter breit, schraubten sich spiralförmig in die Höhe. Kein Mensch war zu sehen.
    »Wo führt die Treppe hin?« fragte Aura mit unterdrücktem Beben in der Stimme.
    »Das ahnst du doch längst, nicht wahr?« meinte de Dion. Ein feines Lächeln teilte sein Totenkopfgesicht wie ein Schwertstreich.
    Aura gab keine Antwort. In Wahrheit ahnte sie gar nichts. Alles, was sie allmählich begriff, war, daß das, was sie an ihrem Ziel erwartete, nichts mit ihren Vorstellungen gemein hatte.
    »Geh allein dort hinauf«, sagte der Templer. »Du kannst die Waffe mitnehmen, wenn du darauf bestehst.«
    »Sie werden hinter mir abschließen?«
    »Natürlich. Deshalb bin ich hier.«
    Sie verstand nicht wirklich, was er damit meinte, aber im Augenblick war das auch gleichgültig. Abermals packte sie den Revolver fester, sprach sich innerlich Mut zu und begann mit dem Aufstieg.
    Zum ersten Mal seit Jahren spürte sie wieder ein scharfes Ziehen an den Innenseiten ihrer Schenkel. Sie hatte die restlichen Ringe nie entfernt.
    Hinter ihr fiel das Tor mit einem ohrenbetäubenden Donnern ins Schloß. Der Riegel knirschte, schnappte ein. Doch die Schritte des Templers entfernten sich nicht. Im Geiste sah Aura ihn vor sich, schweigend, lauschend jenseits der Tür, wie ein Automat, dessen Funktionen allmählich erstarben.
    Die Friedhofsinsel war das östlichste der fünf kleinen Eilande, die Schloß Institoris umlagerten. Gegen fünf Uhr am frühen Morgen legten die beiden Ruderboote an den felsigen Gestaden der Insel an, im Schutze der Dunkelheit und schwarzer Regenwolken, die Mond und Sterne verbargen. Der Seegang war noch stürmischer geworden, Gischt hatte die Kleidung der neun Männer durchtränkt, und sie alle froren erbärmlich. Daß sie es überhaupt bis zur Insel geschafft hatten, war Gillian und Bernardo zu verdanken, die sich je einer Bootsmannschaft angenommen und sie mit Aufmunterung, aber auch mit Schärfe vorangetrieben hatten.
    Großmeister Lascari blickte ebenso unglücklich drein wie seine älteren Ordensbrüder. Auch er hatte nicht

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