Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
wahr?« Sie hasste solche Auftritte, aber im Augenblick war es ihr wichtiger, Dorians Namen zu erfahren.
Die Dienerschaft wusste, dass Auras Familie das Anwesen gehörte. Der Concierge wurde nervös. »Mademoiselle, bitte…«
Sie hätte ihm Geld über den Tisch geschoben, wenn sie welches dabei gehabt hätte. Stattdessen musste ihre Überzeugungskraft ausreichen. Aber sie sah bereits, dass der Mann nachgeben würde.
»Ich bitte Sie darum, Monsieur. Ich denke, es ist in Monsieur Monteillets Sinne, dass Sie mir behilflich sind.«
Es ging auf drei Uhr nachts zu, der Mann war hundemüde, und seine Bereitschaft, ihr Widerstand zu leisten, schmolz dahin. Mit einem Seufzen öffnete er ein gebundenes Buch, in dem er sorgfältig alle Namen notiert hatte. Hinter jedem Gast, der das Palais wieder verlassen hatte, hatte er mit feiner Feder einen Haken gemacht.
»Hier«, sagte er und deutete auf einen Schriftzug, »das muss der Herr gewesen sein, den Sie meinen.«
Aura spürte eine Spannung in sich, die sie gern als naiv abgetan hätte. Aber ganz so einfach war das nicht.
»Chevalier Weldon«, sagte der Concierge. »Ja, ich bin ganz sicher. Eine schlichte, dunkelrote Maske. Das war der Chevalier. Ein höflicher Mann.« Er sah auf, fixierte sie. »Und großzügig.«
Sie stützte sich mit einer Hand auf die Tischkante. »Chevalier Weldon?« Sie holte tief Luft. »Sie sind ganz sicher?«
»Ich bitte Sie, Mademoiselle.«
»Natürlich. Vielen Dank.« Ihr Blick fiel auf eine samtverkleidete Kiste neben dem Tisch. »Sind da drin alle Einladungen, die abgegeben wurden?«
Der Concierge nickte zögernd. Ihm war unwohl, weil er ihren nächsten Wunsch vorausahnte.
»Sie sind adressiert, nicht wahr?«
»Ja«, sagte er leise. »Das sind sie wohl.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen…«
Zum ersten Mal stand ihm sein Missfallen deutlich ins Gesicht geschrieben. »Nein, Mademoiselle.« Fast presste er die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Natürlich macht es mir nichts aus.«
Während er sich die Kiste auf den Schoß hob und in den Karten stöberte, glitt Auras Blick durch die offene Tür hinaus zur Auffahrt. Der breite Kiesweg war zu beiden Seiten von Fackeln flankiert. Die Pferde vor den Droschken schliefen im Stehen, die Kutscher standen in einem kleinen Pulk beieinander und plauderten. Hinter ihnen raunte der Nachtwind in den Akazien.
Chevalier Weldon. Es war unmöglich.
Ein Zufall, ganz bestimmt. Ein lächerlicher, dummer Zufall.
»Hier!« Der Concierge zog triumphierend eine Einladungskarte hervor. »Weldon. Das ist er.«
»Lassen Sie sehen.«
Er reichte ihr die Karte so eifrig, so als wäre er froh, das Stück Pa-pier endlich loszuwerden. Und damit vermutlich auch sie.
Aura las die Adresse.
Lächelte. Sie konnte nicht anders. Dieser Mistkerl.
15, Rue Campagne-Premiere, stand da. Zweite Treppe.
Sie schloss einen Atemzug lang die Augen. Die Adresse der Zwillinge. Nicht seine.
Mit einer Bewegung, die ihre ganze Konzentration erforderte, gab sie dem Concierge die Einladung zurück. »Sind Sie sicher, dass die echt ist?«
Er rümpfte die Nase, als hätte sie ihn persönlich beleidigt.
»Echt, Mademoiselle? Ich verstehe nicht.«
Sie beugte sich über den Tisch hinweg zu ihm, und diesmal gab sie ihrer Stimme einen so schneidenden Klang, dass er erschrocken zusammenzuckte. »Ist diese Karte eine Fälschung? Das möchte ich von Ihnen wissen!«
»Aber warum eine Fälschung?«
»Sie werden es nicht herausfinden, solange Sie sich das Ding nicht ansehen!«
Er schluckte den Rüffel, begutachtete die Einladung von vorne und hinten, wollte schon den Kopf schütteln, als ihm etwas auffiel.
»Das Siegel…«, sagte er leise.
»Was ist damit?«
»Ich weiß nicht. Es wirkt wie… nun ja.«
»Bitte!«
Er blickte mit großen Augen zu ihr auf und sah aus, als bräche eine Welt für ihn zusammen. »Das Siegel ist eine Fälschung. Sehen Sie, hier. Die Pinselstriche. Sehen Sie? Dieses Siegel wurde nicht gestempelt, sondern mit einem Pinsel aufgetragen.«
Aura spürte, wie sich ihr Magen zusammenballte. Der Concierge fuhr fort: »Ich werde gleich einen Mann zu der Adresse…«
Sie unterbrach ihn. »Sparen Sie sich die Mühe. Sie werden den Chevalier dort nicht finden.« Aber vielleicht ich, fügte sie in Gedanken hinzu. Morgen Abend, bei der Séance.
Empörung hatte die Müdigkeit des Dieners verdrängt. »Ein Skandal! Ein unerhörter Affront! Sich auf einen Ball von Monsieur Monteillet
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