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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gillian? Er musste ganz in der Nähe sein, reglos wie sie selbst, bis Jakub endlich verschwand.
    So blieb sie stehen und wartete ab.
    »Den Hammer lob ich mir«, raunte Jakub keine zwei Schritte vor ihr. »Der Hammer findet dich und trifft dich und zerschlägt dich. Zertrümmert deinen hässlichen Kopf wie ein Stück faules Obst. Hörst du mich, mein liebes Kind? Falls du hier drinnen bist, dann weißt du, dass du nicht ewig vor mir davonlaufen kannst mit deinem Hinkebein.« Aber der Klang seiner Stimme verriet, dass Galathee wohl genau dies seit Jahr und Tag tat: Sie führte ihn an der Nase herum, reizte und triezte ihn mit ihrem »Ich ... ich ...«, das aus allen Schatten zugleich zu dringen schien, so als verbreitete sich der Hall ihrer Stimme auf unbegreiflichen Wegen von Dunkel zu Dunkel.
    Endlich zog sich der Diener zurück. Er machte ein, zwei Schritte, dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Aura blieb einen Moment länger stehen, um sicherzugehen, dass er nicht doch noch im Raum war, um dem Gliederkind eine Falle zu stellen. Aber dann meinte sie ihn wieder draußen auf dem Gang zu hören, wahrscheinlich um im nächsten Zimmer die gleiche Ansprache zu halten.
    »Gillian!«, wisperte sie. »Wo steckst du?«
    Er gab keine Antwort.
    »Gillian?«

    Ein Schaben an der Außenseite. Dann wurde ein Schlüssel herumgedreht. Der Hausdiener hatte die Tür abgesperrt.
    Aura tastete in der Finsternis erneut nach Gillian und ahnte doch, dass sie ihn nicht finden würde. Zugleich begriff sie, dass es ein Fehler war, sich so unkontrolliert zu bewegen. Schon verlor sie jegliche Orientierung, wusste nicht mehr, ob sie nun mit dem Gesicht oder dem Rücken zur Tür stand.
    Ihre Stimme klang belegt, als sie noch einmal Gillians Namen flüsterte. Ihr Herz schlug schneller. Gab es irgendwo einen zweiten Ausgang?
    Ich hab dich einmal verloren und werde kein zweites Mal zusehen, wie du dich in Luft auflöst.
    Aber nun war er fort.
    Wie lange befand sie sich schon in dieser Finsternis? Drei, vier Minuten? Oder länger? Existierte in einem Haus, in dem das Ticken der Uhren aus einem Grammophon erklang, überhaupt so etwas wie Zeit? Womöglich hatte Severin Octavian die Minuten und Stunden vergrault, als er dem Uhrenbau den Rücken gekehrt hatte.
    Solche und ähnliche Gedanken gingen ihr durch den Kopf, Unsinn allesamt, aber in diesen Augenblicken besaßen sie das erdrückende Gewicht von Wirklichkeit. Nur der Boden unter ihren Füßen gab ihr Halt, ein untrügliches Anzeichen dafür, dass sie sich noch im Palais Octavian befand, nicht in einer nebulösen Schwärze, die alles hätte sein können. Ein Traum. Der Schlaf. Ihr Tod.
    Behutsam bewegte sie sich vorwärts, ohne zu ahnen, was sich vor ihr befand. Mit jedem Schritt konnte sie in einen Treppenschacht stürzen, in ein Bett aus Nägeln und Glasscherben, in alles, was ihre Vorstellungskraft ihr vorzugaukeln vermochte. Trotzdem würde sie nicht einfach stillstehen und abwarten.
    »Gillian!«, rief sie erneut, diesmal lauter.

    Vor ihr raschelte es. Langsame Schritte, so behutsam wie ihre eigenen.
    Etwas berührte sie am Arm, glitt hinab zu ihren Fingern. Eine Hand bot sich an, sie zu führen.
    Eine Hand, so glatt und tot wie Wachs.

KAPITEL 43
    Kurz bevor der Hausdiener das Zimmer betrat, spürte Gillian ein Zupfen am Saum seiner Jacke: Aura bedeutete ihm, ihr zu folgen. Sie musste einen Weg tiefer in die Finsternis kennen und auf der anderen Seite wieder hinaus. Groß war schließlich keines der Nester, die sie bislang gesehen hatten, zudem war sie schon früher hier gewesen. Nicht eine Sekunde lang zweifelte er daran, dass sie es war, die ihn nun am Stoff seiner Jacke blind durch die Schwärze führte, schweigend, damit der Diener auf dem Gang ihre Stimme nicht hörte.
    Er hatte sich schon ein gutes Stück von seinem ursprünglichen Standort entfernt, als Jakub die Tür öffnete und seine Drohungen gegen das Gliederkind ausstieß. Gillian hörte die Stimme des Mannes leiser und leiser werden, während er selbst sich durch die Dunkelheit bewegte, vielleicht durch eine Seitentür in ein anderes Zimmer, denn die Worte klangen jetzt gedämpft. Bald musste er seine erste Einschätzung korrigieren: Die Ausdehnung der Finsternis war ungleich größer als jede andere Stelle, die sie auf ihrem Weg tiefer ins Haus hinein passiert hatten.
    Dann hörte das Ziehen an seiner Jacke mit einem Mal auf. Er flüsterte Auras Namen, aus Vorsicht so leise, dass er nicht einmal sicher war, ob er ihn

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