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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dieser Kammer entdeckt hatte.
    Rasch zog er die Tür auf und betrat mit der Waffe im Anschlag die Werkstatt.

KAPITEL 44
    Als Aura aus der Dunkelheit trat, zog Galathee ihre Finger zurück. Aura nahm sie flüchtig als hellen Schemen war, der rückwärts in der Schwärze versank. In einer Hand trug Galathee die zerschlissene Puppe, die sie auch auf der Schlossstiege dabeigehabt hatte.
    »Galathée, warte!«, sagte Aura und war sich bewusst, wie absurd es war, mit einem Automaten zu sprechen wie mit einem lebenden Menschen.
    Aus dem Schattennest kam keine Antwort.
    »Wo ist Gillian?« Sie stieß einen Arm ins Dunkel, wo Galathée verschwunden war, und ahnte zugleich, wie aussichtslos es wäre, dem Gliederkind zu folgen. Galathée orientierte sich in der Finsternis mit Sinnen, die denen einer Blinden ähneln mussten.
    Aura trat zwei Schritte zurück und sah, dass sie sich in einem Korridor befand, der zur einen Seite hin von Dunkelheit erfüllt war. Vom Rand der Schwärze bis zum Ende des Flurs waren es nur wenige Meter. Dort befand sich eine Tür, durch die sie auf einen weiteren Gang gelangte. Diesmal kam ihr die Umgebung vage bekannt vor, und als sie vorsichtig weiterging, erreichte sie Severins Uhrmacherwerkstatt. Leise trat sie ein, ließ ihren Blick über die unfertigen Automatenwesen wandern, konnte ihren Schöpfer nirgends entdecken und bemerkte, dass der Durchgang zur Empyreum-Passage offen stand. Auch bei Nacht fiel gelblicher Lichtschein durch die Schaufenster des ehemaligen Geschäfts.
    Sie hatte Größe und Weite und Prunk erwartet, aber nicht in
diesem Ausmaß. Die Passage war ein langer Tunnel unter einem gewölbten Glasdach, drei Stockwerke hoch und mit Mauern aus Sandstein, in die Elemente aus weißem Marmor eingearbeitet waren. Entlang der beiden oberen Etagen verliefen schmale Galerien mit Jugendstilgeländern aus Gusseisen, durch die sich geschwungene, pflanzenartige Ornamente zogen. Die Fenster der leeren Geschäfte, im Erdgeschoss ebenso wie weiter oben jenseits der Brüstungen, waren von kunstvollen Eisenrahmen eingefasst. Großflächige Muster, bemalte Fliesen, aufwendiger Stuck und gefällige Strukturen aus glasiertem Ton dienten als Verzierungen über Türen und Ladenfenstern. Dieselben floralen Formen tauchten in Türgriffen und unbeschrifteten Wegweisern auf, dazu kamen stilisierte Tiere und immer wieder verklärte Abbildungen von Frauen, engelhaft und überirdisch, in fließenden Roben, reduziert auf ätherische Sinnlichkeit.
    Dies alles war in ein gelbes Zwielicht getaucht, das von Dutzenden Lampen an den Rändern des gigantischen Tonnendachs aus Glas erzeugt wurde. Es war, als erfüllte ein honigfarbener Dunst die Passage, dem etwas Falsches, Düsteres beigemischt worden war. Aura dachte unwillkürlich an Fäulnis, so als wäre die Luft mit fahlem Siechtum infiziert. Die Lampen mussten Tag und Nacht brennen, denn die Lichtstimmung war dieselbe wie bei ihrem ersten Besuch in Severins Werkstatt. Vielleicht waren die Glasquadrate, aus denen sich das Dach zu Tausenden zusammensetzte, von außen verdunkelt. Sie stellte sich Millionen von Fliegen vor, die sich auf dem nutzlosen Kadaver der Passage niedergelassen hatten wie auf einem Berg aus Unrat.
    Von einem Ende zum anderen mochte die Passage einhundertfünfzig Meter messen. Überall lagen noch Reste der Bauarbeiten, die vor Jahrzehnten abgebrochen worden waren, unbenutzte Stahlträger und übrig gebliebener Steinschmuck. Dazwischen standen vereinzelte Litfaßsäulen, an denen nie plakatiert worden war, Bänke, auf denen kein Mensch je gesessen
hatte, und Springbrunnen, aus denen niemals Wasser fließen würde. Die zugemauerten Portale an beiden Enden erzeugten den Eindruck, dass hier etwas gefangen gehalten wurde.
    Aura fand den Anblick der Empyreum-Passage majestätisch und beängstigend zugleich, so als hätte sie unverhofft die Ruinen eines vergessenen Tempels betreten, tief in den arabischen Wüsten.
    »Es war ein kalter Tag im November«, sagte eine Stimme, »als ich für immer an die Maschinen verloren ging.«
    Sie blickte sich um, vermochte aber nicht zu sagen, woher die Worte kamen. Der Sprecher – Severin Octavian – konnte überall sein, hier unten auf dem schwarzweißen Schachbrettboden ebenso wie hinter einem der Geländer im ersten und zweiten Stockwerk. Die meisten Türen der verlassenen Ladenlokale standen offen, vielleicht war die Stimme auch aus einer dieser höhlenartigen Kammern aus Glas und Marmor

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