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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sie hatte nicht nach der Pistole greifen wollen, ganz sicher nicht, sie hätte sie ja nicht einmal halten können. Aber was sonst –
    Sie sollte ihn ablenken.
    Sogar erschöpft bewegte er sich noch ungewöhnlich schnell. Als er herumfuhr, war Severin Octavian einen Schritt herangekommen. In beiden Händen hielt er das lose Bein eines Automatenmenschen und holte weit damit aus.
    »Ich ... ich ...«, murmelte das Gliederkind.
    Der Schlag krachte vor Gillians Stirn und fühlte sich an wie ein Kopfschuss. Schmerz in seinen Knien, als er zusammensackte, dann mehr davon, als Severin ein zweites Mal mit dem Puppenbein zuschlug.
    »Ich ... ich ... ich ...«
    Den dritten Hieb sah er kommen, als er schon am Boden lag, aber er schloss die Augen und löschte die Pein einfach aus.

KAPITEL 54
    Aura betrat die Passage gemeinsam mit Lysander und seinen Männern, auf der Suche nach dem Gliederkind.
    Der Wächter, der durchs Fenster auf Sophia geschossen hatte, hielt Aura mit seiner Waffe in Schach. Er ging unmittelbar hinter ihr, sodass sie nicht einmal sein Gesicht sehen konnte, ohne sich den Hals zu verrenken.
    »Du schießt nur auf meinen ausdrücklichen Befehl hin!«, wies Lysander ihn an. »Verstanden?«
    Der Mann brummte etwas. Lysander schien Wert darauf zu legen, dass Aura seine Worte verstand, sonst hätte er wohl Tschechisch gesprochen.
    Aura und die vier Männer hatten Severins Werkstatt im Parterre durchquert. Falls Lysander beunruhigt darüber war, dass seine beiden Leibwächter nicht zurückkehrten, so zeigte er es nicht. Die zwei Männer, die das Haus von außen bewacht hatten, waren kein gleichwertiger Ersatz, trotz der Treffsicherheit des einen. Aber der alte Mann schien nun so besessen davon, die Hesperide zu finden, dass ihm das Schicksal seiner Leute gleichgültig war.
    Bavor musste dies ebenfalls erkennen. Schon vorhin hatte er seinen Unmut über Lysanders Befehle und die eigene Demütigung vor der Gefangenen nicht verbergen können. Falls er mit dem Gedanken spielte, die Rollen in Graugasts Verbrecherorganisation neu zu verteilen, war dies ein günstiger Augenblick.
    Aber noch verhielt Bavor sich loyal; womöglich war er sich nicht im Klaren darüber, ob er die beiden anderen Männer schnell genug auf seine Seite ziehen konnte.

    Aus Severins Werkstatt machten sie die ersten Schritte in die trübe Unterwasseratmosphäre der Empyreum-Passage, das morbide Jugendstilmausoleum des Octavian-Vermögens. Alle Lampen waren eingeschaltet, ihr Schein unterschied sich auch in der Nacht kaum von dem wabernden Dämmerlicht, das hier tagsüber herrschte. Etwas Zeitloses haftete dem Ort dadurch an.
    Beeindruckt sahen sich die Männer auf dem gewaltigen Boulevard um. Hoch über ihnen schwebte die Wölbung des gläsernen Daches. Die Luft roch nach Staub und Schmieröl.
    Lysander wandte sich an Aura. »Wo steckt sie?«
    »Irgendwo hier.« Sie machte eine weite Geste in die langgestreckte Halle hinein. »Sie zieht einen Fuß nach. Wenn ihr sie einmal gefunden habt, kann sie euch nicht davonlaufen.«
    »Und diesmal bist du sicher?«
    Wütend funkelte sie ihn an. »Ich habe mich auch bei der Galionsfigur nicht geirrt.«
    »Nein«, entgegnete er, »wir sind nur ein paar Jahrzehnte zu spät gekommen.« Mit einem Lächeln fügte er hinzu: »Wollen wir hoffen, dass deine Hilfe für Gian nicht zu spät kommt, nicht wahr?«
    Sie musste nicht einmal Anstalten machen, auf ihn loszugehen, da presste ihr Bewacher ihr schon die Mündung seiner Waffe in den Rücken. Wäre er allein gewesen, hätte sie das Risiko vielleicht auf sich genommen. Aber gegen die Überzahl dieser Männer hatte sie nicht den Hauch einer Chance.
    Unter Aufbietung aller Selbstbeherrschung sagte sie: »Lass mich mit Severin reden. Vielleicht hilft es ja.«
    Lysander nickte.
    »Severin! «, rief sie laut in die Passage hinaus. Der Name hallte von den Wänden wider, von verschnörkeltem Stuck, gewölbten Steinbogen und den riesigen Fensterscheiben der Ladengrüfte. »Ich weiß, was Sie getan haben. Sie sind von Anfang an Sophias engster Verbündeter gewesen. Vor Jahren haben Sie in ihrem
Auftrag die Uhr für meinen Vater Nestor Institoris gebaut. Und Sie haben das Gliederkind erschaffen, damit Sophia die Abendliche darin bannen konnte.« Ihre Worte blieben in der Passage gefangen, das Echo vervielfachte sie ein ums andere Mal. »Diese Männer haben Ihre Familie als Geisel genommen, Severin! Und sie wollen Galathee. Ich bin genauso eine Gefangene wie Estella und die

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