Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Mutter?« Die Anrede betonte er, als wollte er sie gleich mit einem Stück Torte ruhigstellen.
    Unmissverständlich erklärte sie ihm, was genau er sich wo einhaken könne, und betrat ohne seine Hilfe sicheren Boden. Nur langsam ließ der Schwindel nach, und allmählich kehrte auch ihr Gleichgewichtsgefühl zurück. »Eierstöcke, ade.«
    »Du bist vierundvierzig. Noch immer nicht die Nase voll von Nachwuchs?«
    »Ein süßes, kleines Mädchen wünsche ich mir. Eines, das Respekt vor dem Alter hat und die Klappe hält.«
    Sie stieg hinauf zur Hügelkuppe und hoffte, dass er nicht merkte, wie nah sie an dem Wegkreuz vorbeiging, um sich notfalls daran abzustützen.
    Dahinter lag eine breite Senke. Am gegenüberliegenden Hang wucherte Buschwerk als dichte Masse über eine weitere Erhebung hinweg.
    »Auf der anderen Seite liegt Saint Ange.« Gian trat neben sie und öffnete mit einer Hand die Knöpfe der Lederjacke. Aura, von Kopf bis Fuß in Schwarz, trug Hose und Pullover, darüber eine hüftlange grobe Wolljacke mit Pelzkragen. Sie lag eng am Körper an, machte sie aber nicht unbeweglich. Am Nachmittag
hatte sie sich eine flache Tornistertasche gekauft; sie war noch im Beiwagen. Darin steckte der Inhalt des Koffers aus dem Dachgartenlabor.
    »Es sind nur ein paar Minuten zu Fuß«, sagte Gian. »Wenn wir näher ranfahren, hören sie uns.«
    Ihr war es vorgekommen, als müsste der Lärm des Motorrades bis in die Camargue zu hören sein. Obwohl die Maschine sich längst abkühlte, schien sie in Auras Ohren weiterzudröhnen.
    Sie holte die Tasche aus dem Wagen und hängte sie sich um. Dann packte sie ihren Sohn bei den Schultern und dachte, wie albern das aussehen musste, weil er fast einen Kopf größer war als sie.
    »Du bist —«
    »Ganz sicher, dass ich mitgehen will.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Was ich eigentlich meinte, ist: Du bist großartig, Gian.«
    »Nein«, gab er mit traurigen Augen zurück. »Ganz und gar nicht.«
    »Das weiß ich besser.«
    Er schenkte ihr ein schmerzliches Lächeln und ging voraus.

KAPITEL 16
    Ein schmaler Holzsteg führte über den Bach, der sich östlich des Sanatoriums durch die Hügellandschaft schlängelte. Im Schutz weiterer Büsche folgten Aura und Gian dem Verlauf des Ufers, bis sie das halb zerfallene Mühlrad an einem der Nebengebäude erreichten. Aura hatte es vom Taxi aus gesehen, erkannte aber erst jetzt, dass die Mühle durch eine Gebäudezeile mit dem Herrenhaus verbunden war. Wahrscheinlich handelte es sich um die ehemaligen Stallungen. Mit etwas Glück konnten sie im Schatten der Rückwand bis zur Anstalt vordringen.
    Als Gian sich bei seinem ersten Besuch an der Pforte nach Gillian erkundigt hatte, war ihm kein Wachpersonal aufgefallen. Allerdings wäre es blauäugig gewesen, anzunehmen, dass die Anlage nachts völlig ungesichert blieb. Aura hatte einen kleinen Revolver dabei, hoffte aber, ihn nicht benutzen zu müssen. Sie wollte keine unschuldige Nachtschwester über den Haufen schießen und sich deswegen für den Rest ihres Lebens Vorwürfe machen.
    Das Mühlrad war mit Vorhängen aus Efeu bedeckt, der Bach rauschte um die zerfallenen Holzspeichen. Eine Wasserratte glitt aus ihrem Versteck in den Überresten des Rades und paddelte ans andere Ufer.
    »Du bleibst hinter mir«, flüsterte Aura.
    Er führte die Handkante zur Stirn und nickte militärisch knapp. »Ich weiß, dass du mir mindestens fünfzig Einbrüche voraus hast. Also verlasse ich mich auf deine überlegene kriminelle Intelligenz.«
    Sie umrundeten Rad und Mühle und gelangten an die Rückseite
der alten Stallungen. Von hier aus konnten sie nicht sehen, was sich darin befand, aber Aura vermutete, dass dort die Automobile der Anstalt geparkt waren. Hastig folgten sie der Feldbrandmauer bis zur Seitenwand des Haupthauses.
    Da gellte ein lang gezogener Schrei durch die Nacht.
    Gian fluchte. Aura legte einen Finger an die Lippen und horchte.
    Das Schreien wurde zu etwas, das wie Röcheln oder Kichern klang.
    »Das kam nicht aus dem Haus«, flüsterte sie. Über ihnen in der Seitenwand waren alle Fenster geschlossen. Nirgends gab es Gitter. »Sehen wir uns mal die Rückseite an.«
    Gian folgte ihr stumm an der Hauswand entlang. Kurz bevor sie die nächste Ecke erreichten, ertönte das Geschrei erneut. Diesmal klang es sehr nah.
    Er erhob sich aus der Hocke, um vorsichtig über die Sträucher am Fuß der Mauer zu spähen. »Was zum Teufel ist das?«
    »Runter!« Barsch zog sie ihn am Arm zurück nach unten

Weitere Kostenlose Bücher