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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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und lief geduckt weiter durchs Gebüsch.
    An die Hinterwand des Herrenhauses schloss sich ein Anbau an, der mehr Ähnlichkeit mit einer kleinen Fabrik hatte als mit einem herrschaftlichen Anwesen: zweigeschossig, kastenförmig, aus schmucklosem Backstein. Lang gestreckt wie eine Barackenzeile in einem Gefangenenlager. Von vorn war dieser Teil des Anwesens nicht zu sehen gewesen, auch von den Hügeln aus hatten die Bäume des Parks den Blick darauf verwehrt. Schmale Fenster, kaum breiter als Schießscharten, waren in die Wände eingelassen und mit Eisengittern gesichert. Der Park ringsum war ungepflegt, ganz anders als an der Vorderseite des Sanatoriums.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte Aura eine Bewegung am hinteren Ende des Flachdachs. Jemand rannte geschwind darüber hinweg, fast auf allen vieren. Ehe sie Einzelheiten erkennen konnte, war die Gestalt bereits verschwunden.

    Gian hatte sie auch gesehen. »Wo ist er hin?«
    »Keine Ahnung. Aber so läuft kein normaler Mensch.«
    Sie fuhr herum, als es in den Büschen raschelte, die sie eben erst passiert hatten. Der Wind war stärker geworden.
    Gian blickte noch immer zu dem tristen Zellenanbau hinüber. »Wie kommen wir da rein?«
    Aura zog den silbernen Revolver aus ihrer Tasche. Er war nicht größer als ihre Hand und sehr leicht für eine geladene Waffe.
    »Ach, richtig«, sagte er, »wir schießen uns den Weg frei.« »Spar dir die Bankräubersprüche und ... duck dich !« Sie presste ihn mit aller Kraft an der Schulter nach unten. Gerade noch rechtzeitig.
    Keine fünf Meter vor ihnen war ein Umriss aufgetaucht, kompakt, gedrungen, fast bucklig. Das unheimliche Kichern erklang erneut. Von Nahem hatte es mehr Ähnlichkeit mit einem schnatternden Röcheln.
    Aura wäre gern ebenfalls hinter den Sträuchern abgetaucht, wagte aber nicht, den Anderen dort draußen aus den Augen zu lassen. Gerade hatte er ihnen noch den Rücken zugewandt, doch nun drehte er sich langsam um, während sein Blick über den Park an der Rückseite des Herrenhauses wanderte.
    Er trug eine Art Uniform, eher Zirkusdirektor als Wachmann: ein zerschlissener Frack aus rotem Samt mit langen Rockschößen und goldbesetztem Kragen. Die Kreatur hatte schlenkernde Arme, ein büffelbreites Kreuz und kurze, krumme Beine.
    Aura warf Gian einen warnenden Blick zu. Kein Laut!
    Seine Lippen formten stumm ein Wort: Affe .
    Das Wesen zeigte sich nun im Profil. Buschiges graues Haar, halb verborgen unter einer roten Armeemütze, umrahmte eine schmale, lange Schnauze und winzige Augen, die tief im Schatten lagen. Ein Zischen drang aus der Kehle des mannsgroßen
Pavians, dann fletschte er gewaltige Zähne, als hätte er seine Beute längst entdeckt. Seine Kleidung war zweifellos maßgeschneidert; ein Mensch hatte ihn derart ausstaffiert.
    Gian stieß Aura an und zeigte auf eine offene Tür im Anbau des Herrenhauses. Ob es ein Eingang war oder nur ein Abstellraum für Gartengeräte ließ sich nicht erkennen.
    Der Pavian stand jetzt ganz still, nur sein wilder Haarschopf über dem Uniformkragen sträubte sich im Nachtwind. Mit schnaufenden Lauten nahm er Witterung auf. Zwischen den Eichen raschelte es wieder, Äste knirschten. Irgendetwas war dort, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Plötzlich preschte er auf allen vieren vorwärts, eine Folge rasanter Sprünge, die ihn in Sekundenschnelle bis zu den Bäumen trug.
    »Jetzt!«, flüsterte Aura.
    Geduckt schlichen sie weiter an der Rückwand entlang, unter breiten Fensterbänken mit fingerdicken Schmutzkrusten. Aura bewegte sich vorneweg, Gian folgte ihr. Die Geräusche, die er verursachte, kamen ihr laut und verräterisch vor. Er gab sich Mühe, doch das genügte nicht.
    Plötzlich tippte er mit dem Finger an ihren Rücken.
    »Der Affe ist weg«, wisperte er.
    Angespannt sah sie hinüber zu den Eichen. Der Pavian war nirgends zu sehen. Er mochte in die Hügel gelaufen sein, auf der Spur irgendeiner Beute. Oder aber er –
    »Da ist er«, flüsterte sie.
    Ein roter Schemen jagte durch eine entlaubte Eiche, einen breiten Ast hinauf, dann hinüber zu einem anderen. Irgendetwas rannte vor ihm her, viel kleiner und flinker, vielleicht ein Eichhörnchen. Der Pavian mochte eine Uniform tragen, aber sein Jagdtrieb wurde davon nicht gemindert.
    Nur noch wenige Meter bis zu der offenen Tür. Aus einigen der schartenähnlichen Fenster des Anbaus drangen jetzt gedämpfte Stimmen, ruheloses Geplapper der Insassen. Die Schreie
vorhin musste der Affe ausgestoßen haben. Er

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