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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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offenbar der Professor persönlich auf neutralem Briefpapier aufgesetzt hatte. Er hatte den Flug, das Hotel und sogar den Wein aufgelistet, dazu eine erstaunlich hohe Summe, die er für eine »Konsultation im Fall Lépicier« berechnet hatte. Darunter stand eine Bankverbindung in Marseille. Ein Adressat wurde nicht genannt.
    Das eintönige Schleifgeräusch aus dem oberen Stockwerk war allmählich träger geworden — jetzt verstummte es ganz. Auf
einen Schlag herrschte in den Gängen und Zimmern des Herrenhauses absolute Stille. Nicht einmal das Zetern und Lallen der Patienten drang bis hierher.
    Rasch prägte sie sich die Daten der Flugreise ein, zusammen mit den Namen des Hotels und des Varietés, dann legte sie alles zurück in die Schachtel und ließ sie in der Schublade verschwinden. Einen Moment später war sie draußen bei Gian.
    »Du hattest recht«, raunte sie ihm zu, während sie zugleich die Tür zum Treppenhaus im Auge behielt. »Sie führen ihn tatsächlich unter dem Namen Lépicier.«
    Er schüttelte den Kopf. »In den Akten gibt es keinen Patienten, der so heißt.«
    »Ich hab den Namen in Tollerans persönlichen Unterlagen gefunden. Der ehrenwerte Herr Direktor war in Prag – warum auch immer. Und er hat die Reise der Person in Rechnung gestellt, in deren Auftrag er vermutlich Gillian festhält.«
    »Kennt Vater irgendwen in Prag?« Sein Blick verfinsterte sich, als er hinzufügte: »Oder du?«
    Sie bedeutete ihm mit einer Geste, die Taschenlampe auf den Boden zu richten. »Mir fällt niemand ein. Aber ich gehe nicht von hier fort, ehe wir Gillian gefunden haben.« Einen Moment lang wurde sie überwältigt von ihren Gefühlen: einer unvernünftigen Euphorie, verbunden mit tiefer Sorge – und Hass auf den Professor und seine Hintermänner.
    Gian nickte entschlossen, nahm seine Pistole vom Schreibtisch und folgte ihr leise zur Tür.
    »Neuer Plan.« Sie wies die Treppe hinauf. »Wir fragen Tolleran selbst nach der Zellennummer.«
    Sie schaltete ihre Taschenlampe aus, hob den Revolver und schlich über die Balustrade zur Treppe ins Obergeschoss. Dort warf sie einen Blick über das Steingeländer nach unten, sah aber niemanden auf dem Marmorboden der Eingangshalle. Keine Umrisse, keine huschenden Schatten. Keinen Affen.

    Als sie sich zu Gian umwandte, beobachtete der gerade das Geländer über ihnen im zweiten Stock. Allmählich spielten sie sich aufeinander ein.
    Oben angekommen, fanden sie mehrere geschlossene Türen vor. Hinter einem Gitter wartete eine Fahrstuhlkabine, breit genug für ein Krankenbett.
    Wachmänner schien es keine zu geben. Wurde nachts überhaupt kein Personal eingesetzt, weil alle Insassen in ihren Zellen eingeschlossen waren?
    »Ich glaube, die Schritte sind in diese Richtung gegangen«, wisperte Gian und zeigte auf einen Bogen aus Stuckverzierungen. Die Eichentür darunter war geschlossen, aber als Aura sich bückte sah sie, dass schwaches Licht durch den Spalt am Boden fiel.
    Noch immer war kein Laut zu hören.
    Hinter dem Stuckbogen mochte alles Mögliche liegen. Tollerans Wohnung. Ein weiterer Zellentrakt. Das Affenhaus.
    Gian nickte ihr auffordernd zu.
    Langsam öffnete sie die Tür.

KAPITEL 18
    Ein kurzer gewölbter Gang mit zwei gelblichen Wandlampen, dann eine weitere Tür, ebenso breit und hoch. Gleichfalls geschlossen.
    Dahinter vernahm Aura eine unverständliche Stimme. Jemand sprach leise und besänftigend, in zutraulichem Tonfall wie mit einem zahmen Tier.
    Sie traten nebeneinander an die Doppeltür, mit den Waffen im Anschlag. Der Bolzen im Schloss glitt fast lautlos zurück. Behutsam zog Aura den rechten Flügel nach außen und blickte durch den Spalt.
    Ein runder Saal – eine gemauerte, fensterlose Kuppel im Zentrum des obersten Stockwerks. Darin eine Vielzahl von Maschinen, die auf den ersten Blick wie mittelalterliche Folterinstrumente anmuteten.
    Es gab mehrere Liegen und Sitze mit Armaturen, die an Schraubzwingen erinnerten. Daneben befanden sich Tische voller Dosen und Tiegel, säuberlich beschriftet. Unter einer Seilwinde stand ein hoher Holzbottich, unweit davon eine Wanne mit Klappdeckel und Vorhängeschloss, um einen Unglücklichen darin einzusperren. Mehrere kleine Öffnungen im Deckel schienen als Licht- oder Lufteinlass zu dienen, aber dann entdeckte Aura daneben Eimer und Metallschütten; wahrscheinlich wurde durch die Löcher zerstoßenes Eis in das Wasser gegeben, ein althergebrachtes Martyrium. Überhaupt wirkten die meisten Apparaturen in

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