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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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»oder ich verschwinde auf der Stelle.« Sie deutete die Treppe hinunter zur Haustür. Dabei streifte ihr Blick erneut die grässliche Galionsfigur. Von hier oben sah es aus, als könnte das Ding mit seinen ausgestreckten Händen jeden aufhalten, der versuchte, aus diesem Haus zu entkommen.
    »Du bist auf der Suche«, entgegnete Sophia ernsthafter. »Immer auf der Suche. Vergiss nicht, ich war mal wie du. Du kannst nicht an Dingen vorbeigehen, die außerhalb der Naturgesetze existieren. Und für manches hier wirst du auch in deinen Büchern keine Erklärung finden.«
    Aura deutete auf Adams Rücken. Was weiß er?, formte sie stumm mit den Lippen.
    Sophia führte lächelnd den Zeigefinger an den Mund und schüttelte den Kopf, aber Aura blieb argwöhnisch. Kurz darauf spürte sie die Berührung von Sophias Fingerspitzen an ihren
eigenen, ganz leicht nur. Doch als sie hinsah, hatte die Tänzerin sie fest bei der Hand genommen, und erst da fühlte Aura ihre Haut und den zarten Druck ihrer Finger. Es war, als würde Sophia erst zu Fleisch und Blut, sobald man sie ansah; sonst existierte sie als Schemen, als Idee, als lockende Verführung. Viele der Gäste, die Abend für Abend ihr Varieté besuchten, mussten es so empfinden, und sie kamen wieder in der Hoffnung, bestätigt zu finden, was in ihrer Erinnerung seltsam entrückt und wehmütig erschien. War das etwas, das Sophia absichtlich vollbrachte? Oder war es Teil ihrer Natur?
    Adam führte die beiden einen langen Korridor hinab. Von der Straße aus war nicht zu erkennen gewesen, wie weitläufig das Palais Octavian war, aber es musste beträchtliche Ausmaße haben. Dabei schien die Anordnung der Gänge und Treppen immer verworrener zu werden.
    Schließlich blieb Adam an einer Ecke stehen. Der Flur führte dort nach rechts, und als Aura und Sophia zu ihm aufschlossen, deutete er wortlos den Korridor hinunter.
    »Das ist eine der Stellen«, sagte er.
    Den Verputz oberhalb der Täfelung hatte man weinrot gestrichen, neben den Türen hingen goldene Lampen. Im vorderen Teil des Flurs brannte nur jede zweite – im hinteren keine einzige. Dort war alles in Finsternis versunken, wie eine Wand aus dichtem schwarzen Rauch, der weder roch noch wogte.
    »Nun?«, fragte Sophia erwartungsvoll.
    Aura blinzelte. »Was ist das?«
    »Absolute Dunkelheit«, sagte Adam. »Schon nach einem Schritt sieht man nicht mal mehr die Hand vor Augen.«
    Aura zögerte einen Moment, dann ging sie den Gang hinab auf das Nest aus Finsternis zu. Auf den ersten Blick hätte man meinen können, die erloschenen Lampen wären die Ursache. Aber die Grenze zwischen Licht und Dunkel war zu scharf gezogen. Der Wechsel von diffuser Helligkeit zu undurchdringlicher
Schwärze vollzog sich innerhalb weniger Zentimeter. Aura hatte etwas Vergleichbares noch nie gesehen.
    »Wie viele solcher Stellen gibt es?«
    »Mittlerweile ein gutes Dutzend und alle paar Wochen kommt eine neue dazu«, antwortete Adam. »Sie können hineingehen, wenn Sie möchten. Es geschieht Ihnen nichts.«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich das möchte.«
    Sophia trat an ihr vorbei und tauchte in die Finsternis. Von einem Schritt zum nächsten war sie fort, wie aufgesogen von einer tintigen Flüssigkeit, deren Oberfläche senkrecht statt horizontal verlief.
    Aura blieb stehen und wartete.
    »Nichts passiert«, erklang Sophias Stimme aus der Schwärze. »Es wird nur schlagartig sehr, sehr dunkel.«
    Ein paar Sekunden später kehrte sie zurück ins Licht.
    »Befindet es sich immer am Ende von Korridoren?«, fragte Aura.
    Adam schloss zu ihnen auf. »Nein, auch in Zimmerecken. In einem Raum sogar unterm Bett.«
    Sophia strahlte. »Wir sollten Aura die Wendeltreppe zeigen.«
    »Auf jeden Fall.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
    Sie gingen ein Stück auf demselben Weg zurück, den sie gekommen waren, dann bog Adam in einen Korridor ab, der sie in ein rundes Treppenhaus führte. Die Stufen waren aus Holz, die Kanten von zahllosen Füßen abgetreten. Es gab keinen Teppich, das Weiß der Wände war vergilbt. Wahrscheinlich benutzte nur die Dienerschaft diesen Schacht.
    Im Zentrum der Wendeltreppe, nur einen Fingerbreit vom Handlauf entfernt, stand die Dunkelheit als pechschwarze Säule.
    »Sie reicht vom Erdgeschoss bis unters Dach«, sagte Sophia. »An manchen Stellen ist sie breiter als an anderen, dort hat sie auch das Geländer verschluckt.«

    Aura streckte vorsichtig die flache Hand nach der Finsternis aus. Keine Geräusche drangen aus dem

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