Die Alptraum-Frau
anstehenden Problemen selbst nicht zurecht. Oder siehst du das anders?«
»Nein. Sie wissen nicht genau, was passieren kann. Das ist eben die Tragik. Auch sie vertrauen auf die Kraft der Steine, die allen zerstörerischen Angriffen bisher getrotzt haben, aber trotzdem ist es heute anders. Den Gegner kennen wir. Trotzdem ist er uns unbekannt, ebenso wie den beiden.«
»Das riecht nach einem verlorenen Posten.«
»Abwarten.«
Es war still geworden. Wir hörten nur das Murmeln des Bachs. Es war so herrlich warm. Ich hätte mich am liebsten auf den Rasen gelegt und in den hellblauen Himmel geschaut. Dazu war heute nicht der richtige Zeitpunkt. So sehr uns die Umgebung mit ihrem Anblick auch verwöhnte, es würde bald um unser Leben gehen. Das in dieser Lage zu begreifen, war nicht einfach.
Ohne ein Wort miteinander zu sprechen, gingen wir nebeneinander auf die Steine zu. Sie bildeten die Ecken eines Quadrats. Dazwischen wuchs ebenfalls der Rasen, aber wir wussten auch, dass magische Linien entstanden, wenn etwas Bestimmtes eintrat. Diese Linien zeichneten sich auf dem Boden ab und verbanden die Steine miteinander, die anschließend von einer rötlichen Farbe gefüllt wurden.
Suko und ich stoppten und standen uns so gegenüber, dass wir uns anschauen konnten. Niemand von uns sprach. Wir waren konzentriert und völlig auf uns allein gestellt. Kara und Myxin hielten sich zurück.
Es war einzig und allein unsere Sache, wie wir mit den Dingen fertig wurden, die vielleicht bald eintreten würden.
Ich behielt zwei Steine im Blick, Suko ebenfalls. Wir sprachen nicht mehr miteinander und versuchten, uns zu konzentrieren. Die Steine zu aktivieren, war uns in diesem Augenblick nicht möglich. Das wollten wir auch nicht, denn die Alptraum-Frau sollte uns ja finden und nicht umgekehrt.
Zeit verstrich. Nichts passierte. Nur die Stille blieb. Manchmal bewegten sich die Spitzen des Grases, wenn der sachte Wind sie kämmte. Auch die Steine blieben wie sie waren. Keine Veränderung war zu sehen. Kein Röten der Einschlüsse, einfach nichts. Abwarten…
Sie war uns auf der Spur. Wenn Kara recht behielt, würde sie uns überall finden. Ihre eigentlichen Pläne hatte die Alptraum-Frau zurückgestellt, weil wir ihr in die Quere gekommen waren und sie nicht wollte, dass wir uns um ihre späteren Opfer kümmerten.
So sah ich die Dinge, und damit lag ich vermutlich richtig. Suko warf mir einen Blick zu. Er lächelte. »Wird sie kommen?« fragte er.
»Bestimmt.«
»Die Steine zeigen nichts.«
Ich hob die Schultern. »Kann sein, dass sie ihre Magie umgeht und plötzlich vor uns steht.«
Das war nicht übertrieben, denn Suko kam nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben. Auf einmal war Urania da. Es war wie in einem Geisterfilm. Zwischen Suko und mir entstand plötzlich eine helle Spirale, die uns vorkam, als wäre sie vom Himmel gestoßen. Sie drehte sich flirrend um ihre eigene Achse, ich spürte den kalten Schauer auf meinem Körper, und in der folgenden Sekunde wandelte sich Energie in Materie um, denn aus der Spirale hervor bildete sich eine Person, eine Frau, eben Urania. Und sie sah so aus wie wir sie schon bei Claudia Burns erlebt hatten…
Es gab genügend Platz zwischen den Steinen. Urania hatte sich so hingestellt, dass sie von mir ebenso gesehen werden konnte wie von meinem Freund Suko. Die Distanz zu ihr war für uns gleich.
Ich schaute sie an, ohne mich dabei zu bewegen. Das silbrige Haar, die weißen Augen, in denen sich das Licht der Sterne gefangen hatte und sicherlich so etwas wie ein Kraftreservoir war, das lange Kleid, sandfarben, und an gewissen Stellen geschlitzt, das Lächeln auf dem Mund, alles wirkte so normal und menschlich, so dass ich den kalten Laternenblick ihrer Augen vergaß.
Sie sprach nicht, und auch wir blieben ruhig. Beide wussten wir, dass sie nicht stumm bleiben würde. Aber sie hatte sich noch nicht entschieden, denn ihre Augen bewegten sich. Der Blick traf einmal Suko, dann mich, als müsste sie sich noch entscheiden, wen sie sich zuerst vornehmen wollte.
Und sie sprach. Mit einer normalen menschlichen Stimme, die ziemlich hell klang. »Ich habe euch gefunden, und ich habe euch dort gefunden, wo euch die meisten nicht entdeckt hätten. Ihr könnt vor mir nicht fliehen.«
»Vielleicht wollten wir das nicht«, sagte ich.
»Wirklich?«
»Deine Taten müssen ein Ende haben.«
Sie lachte. Es klang silberhell. »Wie schön du das gesagt hast, John Sinclair. Ja, ich kenne deinen Namen und auch
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