Die alte Villa (German Edition)
Jedem einzelnen schickte sie ein liebevolles Gefühl.
Die Tränen flossen hemmungslos über ihr Gesicht. Doch schienen sie auch etwas von der schrecklichen Angst mitzunehmen und das war jetzt die Hauptsache. Ihr blieben nur noch wenige Stunden, vielleicht Minuten..
Jeremy … auf ihn setzte sie die große Hoffnung, dass er sich um ihre Tante kümmerte, wenn sie nicht mehr da sein würde.
Tamara … Sie schluchzte laut auf. Wenn sie doch nur wüsste, in welcher Gefahr sie steckte. Sie würde jeden Berg versetzen, um sie zu retten, das wusste sie mit Bestimmtheit.
Maja …. bitte hilf mir doch!
Die Zeit floss dahin und ihr fielen weitere Menschen ein, die in ihrem Leben irgendeine Rolle gespielt hatten.
Lehrer, Schulfreunde, ihr Basketballtrainer, ihre Mannschaftskolleginnen..
Tante Gertrud , obwohl sie längst gestorben war und die sie vielleicht bald wiedersehen würde.
Karsten , der stotternde Junge… was wohl aus ihm werden würde?
Michael … nein, ihn liebte sie nicht, dennoch, was zählte das in diesem Moment? Ein Gefühl des Verständnisses regte sich in ihrem Innern. Sie wusste fast nichts über Michael und konnte daher auch nicht über ihn urteilen.
Die Krauses …
Rolf!! Oh Gott, erst heute Vormittag hatte sich etwas zwischen ihnen beiden verändert. Nun würde sie ihn nie wiedersehen! Vor lauter Tränen konnte sie ihre Umgebung nicht mehr erkennen. Ein Hustenanfall schüttelte ihren zermürbten Körper. .
Herr Kelbel , ihr Physiklehrer! Er hatte sich vor wenigen Stunden für sie eingesetzt, wollte ihr Leben retten, wenn auch nicht besonders energisch. Ob er wirklich so ein schrecklicher Mensch war, wie sie es bisher von ihm geglaubt hatte?
Dr. Bekell, der in Wirklichkeit auch Kelbel hieß …
Er befand sich ganz in ihrer Nähe!
Sie schaute in die Richtung, in der die beiden Männer lagen. Torsten, offensichtlich ohne Bewusstsein lag auf dem Doktor ihrer Tante, der schwer und rasselnd atmete und anscheinend nicht die Kraft besaß, sich von der Last des auf ihm liegenden riesigen jungen Mannes zu befreien.
Ihm hatten sie es zu ‚verdanken’, dass sie nun sterben würden. Wut kochte in ihr hoch.
Nein, schrie es sofort innerlich in ihr. Das Gesetz der Liebe! Kein Hass und keine Wut!
Nicht jetzt.
Wie schändlich wäre es, mit Gedanken des Hasses aus dem Leben zu scheiden! Sie erinnerte sich an die Worte des irren Doktors. Er hatte viel von sich preis gegeben in den letzten Stunden.
Anscheinend war er in einer sehr gefühlskalten Umgebung aufgewachsen.
Hatte er nicht sogar von einem Missbrauch gesprochen, der in seiner Familie stattgefunden hatte?
„..Bedingungslose Liebe..“
Konnte man einen Menschen wie ihn überhaupt lieben?
Greta … sie war 15 Jahre lang seine Patientin gewesen. Die Gewissheit traf sie hart, dass dieser schreckliche Mensch seine Tante abgöttisch geliebt haben musste und dass diese wiederum ihm 15 Jahre lang hilflos ausgeliefert gewesen war.
Doch wirkte ihre Tante nicht wie ein Mensch, der schlecht behandelt wurde, vielmehr strahlte sie eine Schönheit und Würde aus, die jedem, der ihr begegnete, sogleich auffallen musste.
Ob er ihr gegenüber der normale und fürsorgliche Mann sein konnte, der er im Grunde seines Herzens gerne gewesen wäre, wenn sein Leben in irgendeiner Form besser verlaufen wäre?
Dr. Kelbel, alias Bekell …. Sie schickte auch ihm ein liebevolles Gefühl, dafür, dass er all’ die Jahre ihre Tante geliebt, umsorgt und beschützt hatte und wieder rannen Tränen über ihr Gesicht. Ihre liebevollen Gefühle hatten sie nun fest im Griff und sie konnte spüren, wie die Angst sich aus ihrem Körper schlich. Würde sie jetzt sterben?
In diesem Moment vernahm sie von der anderen Seite der Tür ein Geräusch!
„Psst“, sagte sie, obwohl von Dr. Kelbel und Torsten außer den rasselnden Atemzügen des Doktors nichts weiter zu hören war.
Das leise Geräusch, nicht mehr als ein Kratzen oder Schaben, drang von der anderen Seite der Tür zu ihr hindurch.
Sie hustete leise und hielt sich die Hand vor den Mund, weil sie hoffte, dadurch weniger Staub und Schmutz einatmen zu müssen.
Mit ihren Fingerknöcheln klopfte sie gegen die alte Tür. Nach einer kurzen Pause wurde das Klopfzeichen tatsächlich erwidert!
„Wir sind hier, hinter der Tür!“, schrie Rebecca. „Wir bekommen die Tür nicht auf!“
Jemand antwortete unverständlich von der anderen Seite her.
Eine Frauenstimme!
Mit aller Kraft rüttelte sie an der vermoderten alten Tür.
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