Die Amerikanerin
seinem Vater im Büro auf.
Zerschlagen wollte sie sich aufrichten, als ihr Blick auf das Kissen neben ihr fiel.
Eine Nachricht von Franco.
Mit zitternder Hand nahm sie das Blatt Papier auf.
Mia cara, wenn Du diese Zeilen liest, bin ich schon auf dem Weg nach New York. Im Namen der Toten muss ich versuchen, das Unglück wiedergutzumachen, wenn ich mich auch frage, ob das überhaupt möglich ist. Ich weiß, es ist der denkbar ungünstigste Moment für eine Reise, aber ich kann nicht anders. Bitte tu nichts Unüberlegtes, solange ich weg bin – wenn nicht für mich, dann für unser Kind. Ich flehe Dich an, auf mich zu warten. Ich werde dafür sorgen, dass es Dir in der Zwischenzeit an nichts fehlt. Bitte bleib! Gib mir noch diese eine Chance. Wenn Du mich nach meiner Rückkehr verlässt, werde ich Dich nicht aufhalten. In ewiger Liebe, Dein Gatte Franco Marie ließ das Blatt sinken. Ein Versuch, etwas zu retten, was nicht mehr zu retten war. Wie konnte er sie ausgerechnet jetzt allein lassen?
In guten wie in schlechten Zeiten … wie viel war sie Franco nach alldem noch schuldig?
Eine blasse Wintersonne sandte ihre Strahlen ins Zimmer. Mit leerem Blick schaute Marie nach draußen. Die Palmen, die Lorbeerbüsche, die Buchsbaumkugeln – alles sah so aus wie zuvor. Der Gedanke, dass sie sich nicht von Franco verabschiedet hatte, ließ die Verzweiflung in ihr noch größer werden.
Luft! Sie musste aufstehen, an die frische Luft gehen. Vielleicht würde sich dann das Durcheinander in ihrem Kopf ein wenig klären.
Mit bloßen Füßen ging sie in ihre Werkstatt und wollte die Doppeltür zum Garten aufstoßen, doch etwas klemmte. Sosehr sie an dem eisernen Griff auch rüttelte, die Tür ging nicht auf. Seltsam, erst letzte Woche hatte der Gärtner auf ihre Anweisung hin die Türangeln und dabei auch das Schloss geölt – das Quietschen bei jedem Luftzug hatte ihr in den Ohren weh getan.
Also nicht in den Garten. Doch was dann? Sollte sie ihre Sachen packen und sich aus dem Haus schleichen?
Vielleicht war Franco noch da? Es war schließlich gerade erst sieben Uhr. Noch einmal ihn anschauen – vielleicht würde ihr das helfen zu begreifen. Ihm erklären, warum sie gehen musste – wenigstens das war sie ihm schuldig. Marie warf sich ihren Morgenmantel über. Plötzlich hatte sie es eilig. Doch als sie die Tür zum Flur öffnen wollte, ging diese ebenfalls nicht auf.
Marie runzelte die Stirn. Lag es daran, dass sie sich heute früh besonders ungeschickt anstellte? Sie rüttelte am Griff, vergeblich – die raumhohe Holztür bewegte sich keinen Deut. Das konnte doch nicht sein!
Sie stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür. Nichts geschah. Was sollte das bedeuten?
»Franco!«, schrie sie. »Franco, mach die Tür auf!«
Panik stieg in Marie auf. Wie eine Krake streckte sie ihre Tentakel nach ihr aus.
»Verflixt noch mal, was soll denn das? Hört mich denn keiner?«
Nichts geschah.
Marie war gefangen.
18
»Himmelherrgott, Wanda! Ich bin Glasbläser und kein Fabrikarbeiter! Du und deine Ideen!« Thomas Heimers Faust donnerte auf den Küchentisch. Er schüttelte entnervt den Kopf. »Als du gesagt hast, du willst in der Werkstatt mithelfen, hab ich gedacht, du redest von einem Großputz oder von Staubwischen. Davon, dass du die ganze Bude auf den Kopf stellen willst, war nie die Rede!«
Wanda verschlug es für einen Moment die Sprache. Wütend presste sie ihre Lippen zusammen.
»Staubwischen – von dieser Art Hilfe war nie die Rede! Oder glaubst du, Mutter hätte eingewilligt, wenn sie wüsste, dass ich für euch die Putzmagd spiele?«, sagte sie, nachdem sie sich innerlich etwas beruhigt hatte.
Erst vor zwei Tagen war wieder ein fünf Seiten langer Brief aus New York angekommen, in dem Ruth ihre Missbilligung gegenüber Wandas plötzlich erwachter »Vaterliebe« sehr deutlich gemacht hatte. Seit gestern quälte sich Wanda mit der Formulierung eines besänftigenden Antwortbriefes, der Ruth den Wind aus den Segeln nehmen konnte – bisher vergeblich.
»Ja, für Drecksarbeit ist sich das Fräulein zu fein! Wie die Frau Mama einstmals«, giftete Eva vom Herd aus.
»Glaubst du nicht, ich hätte mich längst der Apparateglasproduktion zugewandt, wenn mir je etwas daran gelegen hätte?«, erwiderte Heimer betont geduldig, während er Eva mit seinem leeren Bierkrug signalisierte, dass er auf Nachschub wartete.
»Glaskolben und Reagenzgläser – was hat denn das noch mit dem Glashandwerk zu
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