Die Amerikanerin
Männer – und die neidischen Blicke ihrer Geschlechtsgenossinnen – ihr dies immer wieder bestätigt. Aber noch nie hatte sie sich so schön gefühlt wie in dem Moment, als Richard sie zum ersten Mal nackt sah.
Mit einer Andächtigkeit, wie er sie nicht einmal seinen geliebten Gläsern widmete, wanderte sein Blick Wandas schlanken Leib hinab. Ohne dass er es von ihr verlangt hätte, drehte sie sich wie die Figur auf einer Spieluhr vor ihm. Im gleichen Maße, wie er sich an ihrer Nacktheit labte, wurde sie trunken von seiner Bewunderung. Nun konnte sie es kaum erwarten, von ihm berührt zu werden. Unter seinen liebkosenden Blicken erwärmte sich ihre Haut mehr und mehr, begann zu prickeln. Wanda drängte sich an Richard, nestelte an seinem Hemd, doch er wehrte sie ebenso sanft wie bestimmt ab. Sie nicht aus den Augen lassend, begann er sich auszuziehen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob sie wohl die erste Frau war, in deren Anwesenheit er dies tat. Einmal, ziemlich am Anfang, hatte sie ihn gefragt, ob er – Cousine Anna ausgenommen – vor ihr schon einer anderen den Hof gemacht habe, doch Richard war ihr die Antwort schuldig geblieben. Dass er im Gegensatz zu ihr schon Erfahrungen in Liebesdingen gemacht hatte, daran zweifelte sie nicht: Zu beherrscht waren seine Liebkosungen stetsgewesen, als dass sie von einem unerfahrenen Mann hätten stammen können. Und er küsste gut.
Erwartungsvoll befeuchtete Wanda ihre Lippen, während Richard sich an seinen Schuhen zu schaffen machte. Das Zittern in Wandas Schenkeln wurde immer stärker, und sie musste sich auf den Rand des Bettes setzen. Mit einer kraftvollen Bewegung öffnete Richard seinen Gürtel. Seine Hose fiel zu Boden.
Ein unfreiwilliger Seufzer kroch aus Wandas Kehle. Durfte man einem Mann sagen, dass man ihn schön fand? Sie wagte es nicht. Er war so muskulös, wie sie es sich vorgestellt hatte, ohne dabei massig zu wirken. Seine breite Brust ging in eine schlanke Taille über, wie bei einem Tänzer des New Yorker Balletts. Wandas Blick huschte ein Stück weiter nach unten. Seine Beine waren ohne Hosen kräftiger, als sie geglaubt hatte.
Als er schließlich ganz nackt war, erschrak sie doch ein bisschen. Doch ihr Erschrecken galt nicht dem ungewohnten Anblick, sondern ihrer Gier nach Richard, die sie wie eine Riesenkrake beinahe erdrückte. Sie wollte ihn an sich ziehen, seine Hände an ihre Brüste legen, sie wollte … Heftig blinzelnd kämpfte sie gegen die erregenden Visionen an.
»Du bist so … männlich«, flüsterte sie mit rauer Stimme.
Richard, der ihrem Blick gefolgt war, sagte grinsend: »Die Muskeln kommen von der harten Arbeit am Bolg.«
»Und woher kommt … das?« Mit halb niedergeschlagenen Lidern wies Wanda auf sein Glied, das kraftstrotzend in die Höhe stand. Ihre Frivolität trieb ihr die Röte ins Gesicht. Was für einen Eindruck musste Richard von ihr bekommen!
»Daran bist du schuld. Du ganz allein!«, murmelte Richard mit erstickter Stimme.
Im nächsten Moment waren seine Arme um sie, seine Lippen auf ihren Lippen. Von dort wanderten sie zu ihrenOhren, dann zu ihrem Nacken. Seine Zunge streifte die samtige Höhlung zwischen ihren Schultern, wanderte wieder zurück in ihren Nacken, wo sein warmer Atem die feinen Härchen aufplusterte wie Kükenflaum.
Wandas Atem ging mit jedem Kuss von Richard schneller. Auch sie konnte sich nicht länger zurückhalten, musste streicheln, mit ihren Lippen berühren, das Salz seiner Haut schmecken, seinen Duft einatmen. Inzwischen lagen sie längst auf dem schmalen Bett. Es ächzte vorwurfsvoll unter ihrem Gewicht, und Wanda und Richard lachten.
Mit jedem Kuss, mit jedem Streicheln spannen sie sich weiter ein in einen Kokon der Leidenschaft. Nichts, was außerhalb dieses Kokons lag, war noch von Bedeutung. Atem ganz nah, samtene Haut, leises Stöhnen, Herzschlag im Gleichtakt, weiche Rundungen in männlicher Umarmung, glückseliger Schmerz …
Hingabe durchflutete Wandas Bewusstsein, trieb sie auf immer höhere Wellen der Leidenschaft, die den Schmerz auffraßen und wohlige Gier zurückließen.
Wanda dachte längst nicht mehr an die anderen Hotelgäste, als sie aus tiefster Seele schrie: »Halt mich fest! Für immer …«
*
»Hilf mir … Ich kann nicht mehr!«
Maries Schrei gellte durch das Zimmer. Ihr Oberkörper bäumte sich auf, das Zerren in ihrem Unterleib wurde noch heftiger. Das, was hier geschah, konnte nicht rechtens sein. Es tat zu weh. Sie wurde entzweigerissen.
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