Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
gebar Gertrud eine uneheliche Tochter, während ihre eigene Mutter dem Krebs erlag. Auf Sjölida lebten nur noch Papa Tapio, Gertrud und die neugeborene Kristina. Die Ersteren rackerten sich weiter auf ihren Kartoffeläckern ab, während das Mädchen heranwuchs. Als sie in Norrtälje aufs Gymnasium sollte, gab ihr ihre Mutter eine Warnung vor den bösen Männern mit auf den Weg, doch Kristina lernte Gunnar kennen, der alles andere als böse war. Sie wurden ein Paar, heirateten und bekamen die kleine Celestine. Und Gunnar wurde sogar Bankdirektor.
»Zum Kotzen«, sagte die junge Zornige.
»Du kannst ruhig auch die Klappe halten«, sagte Holger 2, aber in etwas sanfterem Ton, um Gertrud nicht aus dem Konzept zu bringen.
»Na ja, es war nicht immer alles lustig im Leben«, fasste Gertrud zusammen und trank ihren letzten Schluck Bier aus. »Aber ich hab ja immer noch Celestine. Ich freu mich so schrecklich, dass du zurückgekommen bist, mein liebes Mädchen.«
Nombeko, die sich in den letzten sieben Jahren durch eine komplette Bibliothek gelesen hatte, wusste genug über die Geschichte Finnlands und des Marschalls Mannerheim, um zu dem Schluss zu kommen, dass diese Erzählung den einen oder anderen Schwachpunkt hatte. Sie fand es nicht ganz selbstverständlich, dass die Tochter eines Mannes, der sich ausgedacht hatte, dass er der Sohn eines Freiherrn war, ihrerseits Gräfin wurde. Dann sagte sie:
»Donnerwetter! Dann dinieren wir hier ja tatsächlich mit einer Gräfin!«
Die Gräfin Virtanen wurde rot und ging zur Speisekammer, um noch mehr Getränke zu holen. Holger 2 sah, dass Nummer eins schon gegen Gertruds Erzählung protestieren wollte. Deswegen kam Nummer zwei ihm zuvor und meinte, jetzt solle sein Bruder die Klappe noch fester halten als je zuvor. Hier ging es nicht um Ahnenforschung, sondern um ihre Herberge.
* * * *
Gertruds Kartoffeläcker lagen brach, seit sie vor ein paar Jahren in Rente gegangen war. Sie hatte einen kleinen Lkw, den Kartoffellaster, mit dem sie einmal im Monat nach Norrtälje fuhr, um Lebensmittel einzukaufen, und der ansonsten auf seinem Platz hinterm Haus stand. Der wurde nun in ein nukleares Zwischenlager verwandelt und in die hundertfünfzig Meter entfernte Scheune verbracht. Zur Sicherheit beschlagnahmte Nombeko die Schlüssel. Lebensmitteleinkäufe würde man ab jetzt mithilfe des Toyota erledigen, den ihnen die Blomgrens freundlicherweise auf unbestimmte Zeit geliehen hatten. Gertrud brauchte ihr Sjölida überhaupt nicht mehr zu verlassen, und das gefiel ihr.
Im Haus war genug Platz. Holger 1 und Celestine bekamen ein eigenes Zimmer neben Gertruds Zimmer im ersten Stock, während Nummer zwei und Nombeko im Erdgeschoss neben der Küche einquartiert wurden.
Nombeko führte beizeiten noch ein ernsthaftes Gespräch mit Nummer eins und Celestine. Keine Demonstrationen mehr, keine plötzlichen Eingebungen, wo man die Kiste hinbringen könnte. Kurz und gut: keine Dummheiten. Denn ihrer aller Leben stand auf dem Spiel, Gertruds mit einbegriffen.
Am Ende musste Nummer eins seinem Bruder versprechen, keine revolutionären Umtriebe loszutreten und auch jeden Versuch zu unterlassen, Hand an die Bombe zu legen. Doch Nummer eins fügte hinzu, dass Nummer zwei sich inzwischen ja mal überlegen könnte, was er zu ihrem Vater sagen sollte, wenn sie sich eines Tages im Himmel begegneten.
»Wie wär’s mit ›Danke, dass du mein Leben zerstört hast‹?«, schlug Holger 2 vor.
* * * *
Am folgenden Dienstag wurde es Zeit, sich mit der Polizei in Stockholm zu treffen. Nummer zwei hatte selbst um das Gespräch gebeten. Er ahnte, dass man ihm Fragen zu eventuellen Mietern im Abbruchhaus stellen würde, um irgendeine Spur für die Jagd auf die Terroristen zu bekommen, die es nie gegeben hatte und die noch viel weniger im Haus verbrannt waren.
Die Lösung sah so aus, dass man eine Geschichte zusammenbastelte, die zum einen glaubwürdig war und zum andern auch von der jungen Zornigen abgesegnet werden konnte. Das war zwar riskant, aber Nombeko erklärte ihr immer wieder, was für Unglück sie über die Gruppe bringen würde, wenn sie sich nicht an die Absprachen hielt. Celestine versprach, die Bullenschweine nicht mit dem Namen zu titulieren, den sie verdient hatten.
Holger 2 trat als sein Bruder auf und stellte dabei die einzige Angestellte von Holger & Holger vor, seine junge Begleiterin Celestine.
»Guten Tag, Celestine«, sagte der Polizist und hielt ihr die Hand hin.
Celestine
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