Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
übereifriger Ankläger, den die Opposition hinreichend aufgehetzt hatte, konnte nur zu leicht ein Szenario konstruieren, in dem der Ministerpräsident die dramatischen Ereignisse verlängert und sich an einer ungesetzlichen Handlung beteiligt hatte.
»Hm«, machte Nombeko nachdenklich. »Zum Beispiel Begünstigung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens, nach Paragraf 3, Absatz 9 des Strafgesetzbuches.«
»Zwei Jahre?«, fragte der Ministerpräsident, dem allmählich dämmerte, dass es nichts gab, was Nombeko nicht wusste.
»Genau«, sagte Nombeko. »Und im Hinblick auf die potenziellen verheerenden Folgen dürften Sie nicht hoffen, auch nur einen Tag weniger zu bekommen. Außerdem sind Sie ohne Helm Moped gefahren. So wie ich Schweden kenne, könnte das gleich noch mal fünfzehn Jahre draufgeben.«
Der Ministerpräsident dachte an seine Zukunft. Er hoffte, im Sommer 2009 EU -Ratspräsident zu werden. Bis dahin hinter Gittern zu sitzen, konnte kaum als optimale Vorbereitung gelten. Ganz abgesehen davon, dass er sowohl seinen Posten als Ministerpräsident als auch den des Parteivorsitzenden räumen müsste.
Daher bat er die kluge Nombeko um ihre Meinung, wie sie sich alle am besten aus der Lage herausmanövrieren und so viel wie möglich von den Geschehnissen der letzten vierundzwanzig Stunden dem ewigen Vergessen anheimfallen lassen könnten.
Nombeko entgegnete, ihr sei niemand bekannt, der so gut aufräumen könne wie der Herr Ministerpräsident. Die Küche war nach Hähnchenpfanne, Bier, Schnaps und Kaffee ja wieder blitzblank. Blieb nur noch … das Aufräumen des schlafenden Agenten?
Der Ministerpräsident runzelte die Stirn.
Außerdem dachte Nombeko, dass es auf jeden Fall die Bombe vom Idioten und seiner Freundin zu trennen galt. Und sie dann in irgendeinem Bergwerksstollen wegzuschließen.
Der Ministerpräsident war müde. Mittlerweile war es so spät, dass man es schon eher früh nennen musste. Er gab zu, dass er sich schwertat, seine Gedanken in Worte zu fassen. Aber die Idee mit dem Stollen war ihm tatsächlich auch gekommen, als sein Hirn noch funktionierte. In ihrem Versteck konnte man die Bombe dann entschärfen oder zumindest einmauern und die Erinnerung an ihre Existenz verdrängen.
Die Zeit geht mit Ministerpräsidenten nicht nachsichtiger um als mit anderen Menschen. Manchmal eher umgekehrt. Als Nächstes stand auf Fredrik Reinfeldts offiziellem Terminkalender ein Treffen mit Präsident Hu, um 10 Uhr in der Regierungskanzlei, danach Mittagessen im Sager’schen Haus. Vorher wollte er noch eine Dusche nehmen, damit er nicht gar so sehr nach Kartoffelacker roch, und anschließend lehmfreie Kleider und Schuhe anziehen.
Wenn die Gruppe demnächst aufbrechen konnte, war das vielleicht zu schaffen. Etwas schwieriger würde es sicher werden, unterwegs einen hinreichend tiefen und abgelegenen Stollen zu finden, in dem die Atombombe versteckt und vergessen werden konnte. So wichtig die Sache auch war – die musste nun doch noch bis zum Nachmittag warten.
Der Ministerpräsident konnte normalerweise gut zuhören und redete selten zu viel. Jetzt war er selbst überrascht, wie offenherzig er mit Nombeko Mayeki sprach. Andererseits war das vielleicht gar kein Wunder, denn wir alle brauchen jemand, dem wir unsere innersten Gedanken anvertrauen können, und wer hätte sich in dieser Situation mit dem Drei-Megatonnen-Problem ansonsten angeboten, wenn nicht diese Südafrikanerin und vielleicht noch ihr Freund?
Der Ministerpräsident wusste, dass er die Zahl der Personen, die dieses größte aller Geheimnisse teilten, noch vergrößern musste. Er gedachte mit dem Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte anzufangen, der die Verantwortung für diesen Stollen übernehmen musste, wo auch immer der nun liegen mochte. Da der Oberbefehlshaber die Bombe höchstwahrscheinlich weder selbst entschärfen noch einmauern konnte, mussten noch ein, zwei Personen hinzugezogen werden. Damit wussten mindestens die folgenden Personen das, was sie nicht wissen durften:
1. der Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte,
2. Bombenentschärfer A,
3. Maurer B,
4. die illegale Einwanderin Nombeko Mayeki,
5. der nichtexistierende Holger Qvist,
6. sein nur zu existenter Bruder,
7. die cholerische Freundin dieses Bruders,
8. eine ehemalige Kartoffelbäuerin, nunmehr zur Gräfin avanciert,
9. Seine sorglose Majestät der König, sowie
10. ein pensionierter Mossadagent.
»Das kann kein gutes Ende nehmen«,
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