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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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sowjetische Grenze gefahren, dort auf ein Schiff der sowjetischen Küstenwache umgestiegen, in Moskau gelandet, dann in Helsingfors und zum Schluss nach Stockholm und Schweden weitergefahren. Dort gewährte man ihm politisches Asyl.
    Doch in Stockholm hatte der Vietnamdeserteur geglaubt, überall die CIA zu sehen. Er war völlig runter mit den Nerven und felsenfest davon überzeugt, dass sie ihn finden und wieder in den Krieg schicken würden. Und so war er aufs Land geirrt und in Gnesta gelandet, hatte eine stillgelegte Töpferwerkstatt entdeckt, sich hineingeschlichen und unter einer Plane zum Schlafen hingelegt. Es war mehr als Zufall, dass er dort gelandet war, denn im Grunde seines Herzens war der Amerikaner nämlich Töpfer. Ingenieur und Offizier war er nur auf Befehl seines Vaters geworden.
    In der Töpferei hatte der Kissengroßhändler nicht allzu viele getöpferte Waren, sondern vielmehr den Teil seiner Buchführung, der das Tageslicht scheute. Und deswegen suchte er jede Woche ein paarmal diese Räume auf. Dort, zwischen den Ordnern, schaute eines Tages ein verschrecktes Gesicht hervor – der Amerikaner, dessen sich der Unternehmer prompt erbarmte. Der Mann durfte bleiben, aber nur wenn er in eine der Wohnungen im Abbruchhaus in der Fredsgatan 5 zog. Wenn der Amerikaner die Töpferwerkstatt wieder zum Leben erwecken wollte, bitte sehr, aber die Tür zu dem fensterlosen Raum dort hinten sollte auf jeden Fall geschlossen bleiben.
    Der im ersten Moment etwas erschrockene Amerikaner hatte das Angebot angenommen, woraufhin er sofort und ohne Erlaubnis anfing, einen Tunnel von der Erdgeschosswohnung in der Fredsgatan 5 bis hin zur Töpferwerkstatt auf der anderen Seite zu graben. Als der Unternehmer ihn darauf ansprach, antwortete er, dass er einen Fluchtweg brauche, sollte eines Tages die CIA an die Tür klopfen. Der Tunnelbau dauerte mehrere Jahre, und als er endlich fertig war, war der Vietnamkrieg schon lange vorbei.
    »Ganz richtig ist er nicht im Kopf, das kann man nicht anders sagen, aber er gehört zu unserer Abmachung«, sagte der abgearbeitete Unternehmer. »Im Übrigen fällt er ja niemandem zur Last. Soviel ich weiß, lebt er davon, dass er selbst getöpferte Waren auf den Märkten in der Gegend verkauft. Verrückt, aber er schadet keinem, außer vielleicht sich selbst.«
    Holger 2 zögerte. Er hatte das Gefühl, dass er nicht noch mehr Wahnwitz in seinem Leben brauchen konnte. Mit seinem Bruder und dem Erbe seines Vaters hatte er schon genug am Hals. Andererseits würde dieses Arrangement es den Brüdern ermöglichen, genau wie der Amerikaner in das Abbruchhaus zu ziehen. Ein richtiges Dach über dem Kopf, statt der Matratze im Lkw.
    Die Entscheidung fiel so aus, dass sie sich bereit erklärten, die Verantwortung für den amerikanischen Töpfer mit den kaputten Nerven zu übernehmen. Daraufhin wurde alles, was der ehemalige Unternehmer besaß, auf die neu gegründete Aktiengesellschaft von Nummer eins überschrieben.
    Endlich konnte der Abgearbeitete einfach mal ausspannen! Gleich am nächsten Tag fuhr er nach Stockholm, um erst dem Sture-Bad einen Besuch abzustatten und anschließend Hering und einen Schnaps im Sture-Hof zu genießen!
    Doch er dachte nicht daran, dass seit seinem letzten Besuch in der quirligen Großstadt der Rechtsverkehr eingeführt worden war. Dass eben dies auch in Gnesta galt, hatte er nicht mal gemerkt. Also schaute er beim Aussteigen in der Birger Jarlsgatan genau in die falsche Richtung.
    »Leben, hier komme ich!«, sagte er.
    Und wurde im nächsten Augenblick von einem Bus überfahren.
    »Das ist aber traurig«, sagte Holger 1, als die Brüder davon erfuhren.
    »Ja. Und billig«, meinte Holger 2.
    Holger und Holger besuchten den amerikanischen Töpfer, um ihm von ihrer Abmachung mit dem so tragisch verunglückten Kissengroßhändler zu erzählen und ihm mitzuteilen, dass der Herr Töpfer gern weiter hier wohnen durfte, weil das zur Absprache mit dem Verstorbenen gehörte und man Absprachen schließlich einhielt.
    Holger 2 klopfte an.
    Stille.
    Holger 1 klopfte auch an.
    »Kommt ihr von der CIA ?«, hörte man eine Stimme.
    »Nein, von Södertälje«, sagte Holger 2.
    Noch ein paar Sekunden Stille. Dann wurde die Tür vorsichtig aufgemacht.
    Die Begegnung der Männer verlief positiv. Es begann abwartend, aber als Holger und Holger andeuteten, dass mindestens einer von ihnen ebenfalls kein ganz unkompliziertes Verhältnis zur Gesellschaft hatte, wurde es besser. Man hatte

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