Die Anatomie des Todes
störte sie, dass sie immer nur aus schlechtem Gewissen zum Hörer griff. Das nächste Mal wollte sie aus einem anderen Grund anrufen, nämlich weil sie Lust dazu hatte.
Es dauerte fast eine Stunde, bis ein Computer frei wurde. Die Homepage der 1951 gegründeten Renten- und Kreditkasse des Fischereiwesens zu finden, war eine Kleinigkeit. Nicht dass sie sonderlich informativ gewesen wäre. Sie enthielt einige Hintergrundinformationen sowie ein paar Links zu lokalen Geschäftspartnern. Als sie »Aktuelle Projekte« anklickte, erhielt sie die Mitteilung, dass die Seite derzeit nicht zugänglich sei, weil sie neu gestaltet werde. Bei »Unternehmensleitung« hatte sie mehr Glück und konnte sich nacheinander die Bilder von acht Männern und einer Frau mit zugehörigen Namen ansehen. Maja musste an die Verbrecherkartei denken, die sie auf dem Revier angesehen hatte.
Nur ein einziger Name war ihr bekannt, und das auch nur, weil der Bürgermeistertitel hinzugefügt war.
»Uns gehört die Zukunft!«, hatte er im Fernsehen verkündet.
Bürgermeister Jeppesen sah genauso unsympathisch aus wie seine Vorstandskollegen, die einer Gruppe von Raubfischen glichen. Sie druckte sich die Homepage aus und warf die zwei Kronen Druckgebühr in den dafür vorgesehenen Plastikbecher. Trotz der geringen Summe musste sie daran denken, dass sie das Geld zum Fenster rausgeworfen hatte. Sie hatte erwartet, auf Solstrøms oder zumindest Munkejords Namen zu stoÃen, um ihnen eine Verbindung zur Renten- und Kreditkasse nachweisen zu können. Doch stattdessen schienen alle Spuren in den Räumen der Stadtbibliothek zu enden.
Es war höchste Zeit, dem toten Ãivind seine Unterlagen und seinen Haustürschlüssel zurückzugeben. Ob sie das Foto von Jo, das an der Kühlschranktür geklebt hatte, ebenfalls zurückgeben würde, wusste sie noch nicht.
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Maja fuhr die Kirkegata entlang und bog an der Kreuzung in den Lindevei ab. Sie sah sofort den Wagen, der vor Munkejords Haus stand. Es war der schwarze Navigator.
Sie hätte am liebsten eine Vollbremsung gemacht und den Mercedes um 180 Grad gewendet, doch ihre Hände gehorchten ihr nicht. Stattdessen krampften sie sich so fest um das Lenkrad, dass ihre Knöchel weià wurden. Sie konnte nicht anders als einen kurzen Seitenblick auf den Wagen zu werfen, während sie vorbeifuhr. Der eine der Männer von der Brücke saà auf dem Beifahrersitz und schaute zu Munkejords Wohnung hinauf. Sie ging davon aus, dass der andere bereits vor dessen Tür stand.
Sie fuhr weiter den Lindevei hinunter, während sie im Rückspiegel den Van im Auge behielt. Bei der nächsten Gelegenheit bog sie ab. Nichts konnte sie mehr dazu bringen, noch mal zu Munkejords Wohnung zurückzukehren. Sie überlegte kurz, ob Brynjelsen womöglich in Gefahr war, doch seine Senilität würde ihn schon schützen. Stattdessen würden sie sich Einlass in Munkejords Wohnung verschaffen, um seine Sachen zu durchsuchen und die letzten Spuren zu verwischen. Um effektiver zu sein, als es die Flut gewesen war. Zweifellos würden sie den leeren Aktenordner entdecken und sich auf die Suche begeben, wenn auch weniger nach dessen Inhalt, sondern nach demjenigen, der ihn entwendet hatte. Seit der Begegnung auf der Brücke war sie ihnen stets einen Schritt voraus gewesen, doch dieser Vorsprung schrumpfte allmählich. Bald würden sie ihr wieder im Nacken sitzen. Sie musste VorsichtsmaÃnahmen treffen, der Injektor in ihrer Tasche reichte nicht mehr aus. Stattdessen musste sie sicherstellen, dass sie sich nicht aus der Affäre stehlen konnten, selbst wenn es zum Schlimmsten käme. Sie musste ein Testament aufsetzen. Nicht darüber, was mit ihren Hinterlassenschaften geschehen sollte, nein, ein Testament über die gesamte Angelegenheit. Ein Dokument, das alle Details umfasste: den missglückten Wiederbelebungsversuch von Jo Lilleengen, den Ãberfall in der Praxis, die Ermordung Kvams, den Mordanschlag auf sie und schlieÃlich
Munkejords Ende im Fluss. Sie musste es an einem sicheren Ort verwahren, im Schuhkarton, den sie im Hohlraum über der Decke in ihrer Praxis verstecken würde. Ein Ort, den nur Stig und sie kennen würden.
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Maja bekam einen Krampf in der rechten Hand. So hektisch hatte sie alles zu Papier gebracht und am Ende nahezu acht eng beschriebene Seiten gefüllt. Es war ein dramatischer
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