Die Anatomie des Todes
FüÃen. Sie tastete nach dem Schalter und knipste das Deckenlicht an. Die Wände des Flurs waren blutrot â doch im Gegensatz zu Kvams Wohnung lag das an der Tapete. Sie ging in die Hocke und überzeugte sich davon, dass ihre Visitenkarte nicht mehr zwischen den Reklamezetteln lag. Jemand musste Munkejords Post durchgesehen und dabei ihre Karte gefunden haben, auf der sie ihn gebeten hatte, bei ihr anzurufen. Falls es Blindheim und seine Leute waren, würde sie bald von ihnen hören. Sie ärgerte sich, dass sie ihre Karte überhaupt zu ihm in die Wohnung geworfen und damit ihre Spur hinterlassen hatte.
Sie ging in das kleine Wohnzimmer, lieà das Licht aber vorsichtshalber ausgeschaltet. Die Flurbeleuchtung war
ausreichend, um sich in der Wohnung zu orientieren. Alles sah auffallend ordentlich aus. Entweder war Munkejord ein penibler Typ gewesen oder andere hatten später für Ordnung gesorgt. Vielleicht war es ja der letzte Wunsch einer trauernden Mutter, dass die Welt ihren Sohn in ordentlicher Erinnerung behielt. Sie blickte sich um, ohne genau zu wissen, wonach sie eigentlich suchte. Was ein Raum voller Ikea-Möbel über einen Menschen erzählen konnte, war doch recht begrenzt. Mit der groÃen Stereoanlage von Pioneer im Birkenholzregal, dem Ecksofa aus Leder sowie dem obligatorischen Couchtisch sah diese Wohnung genauso aus wie die von unzähligen anderen Junggesellen. In einem geschwungenen Regal an der Wand befand sich seine CD-Sammlung. Offenbar hatte er eine Vorliebe für norwegischen Rock und Irish Folk gehabt.
Maja betrat das Schlafzimmer, das sich hinter dem Wohnzimmer befand. Das Bett war gemacht, auf der Tagesdecke lagen fein säuberlich ein paar kleine Kissen nebeneinander. Nun war sie ganz sicher, dass sich hier Munkejords Mutter oder ein anderer guter Geist zu schaffen gemacht hatte.
In der hinteren Ecke war neben dem Fenster ein kleiner Arbeitsplatz eingerichtet. Sie sah einen Flachbildschirm, eine Tastatur sowie eine rote Maus. Die zahlreichen Computerspiele auf der Fensterbank lieÃen darauf schlieÃen, dass es sich bei dem heimischen Arbeitsplatz in erster Linie um eine »Spielhölle« handelte. Auf einem Regal über dem Schreibtisch standen mehrere Aktenordner, die mit einem schwarzen Stift beschriftet waren: Privat, Lohn, Lindevei, N.A. Sie nahm den letzten Ordner zur Hand, auf dem »Sundgata« stand, und öffnete ihn.
Vielleicht war es ja doch Munkejord selbst, der hier Ordnung gehalten hatte, dachte sie beim Anblick der Excel-Tabellen mit den sorgsam eingetragenen Zahlen. Sie begann in den Unterlagen zu blättern, die alle dasselbe Haus betrafen.
Ein Haus, dessen Eigentümer Munkejord bis vor kurzem gewesen war. Sie beschloss, die Unterlagen mit nach Hause zu nehmen, aber damit ihr Diebstahl nicht auffiel, nahm sie die Blätter aus dem Ordner und stellte ihn danach wieder ins Regal zurück.
Mit dem Stapel unter dem Arm ging sie in Richtung Haustür. Morgen würde sie die Unterlagen in der Bibliothek fotokopieren und danach in die Wohnung zurückbringen. Als sie an der offenen Küchentür vorbeikam, hielt sie plötzlich inne.
Die Tür des Kühlschranks wurde von verschiedenen Fotos geschmückt. Eines von ihnen zeigte Munkejord auf einem groÃen Motorrad. Auf einem anderen posierte er zusammen mit drei anderen Männern vor dem orangefarbenen Zelt des Roskilde-Festivals. Auf dem nächsten saà er in einem kleinen Boot, hielt in der einen Hand eine Angel und in der anderen eine Zigarette und lächelte strahlend in die Kamera. Bei dem nächsten Foto lief es Maja kalt den Rücken hinunter. Es war offensichtlich auf demselben Ausflug entstanden, doch diesmal hielt ein anderer Mann einen sehr kleinen Fisch in die Kamera. Sie erkannte ihn sofort. Es war Jo Lilleengen. Sie konnte sich nicht zurückhalten und steckte das Bild ein, als würde es irgendetwas beweisen.
Vielleicht hatte Munkejords Mörder seine Tat auf diese Bilder abgestimmt. Ein fingierter Unfall, der durch die Hinterlassenschaft des Opfers im Nachhinein glaubwürdig wurde.
Auf dem Rückweg fragte sie sich, ob es womöglich kein Zufall war, dass es sich bei allen drei Todesopfern um Junggesellen handelte. Zählte sie den Mordanschlag auf sich selbst dazu, waren es vier Singles.
Falls es ein Band gab, das die Schicksale miteinander verknüpfte, dann hatte sie bei Munkejord keine Anhaltspunkte dafür entdeckt.
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