Die Anatomie des Todes
würde die Ãberprüfung anhand des Bebauungsplans geschehen, den sie sich im kommunalen Servicecenter in der Kirkegata besorgen wollte. Unter der Dusche in Stigs Wohnung war ihr plötzlich eingefallen, wie sie und Jan vorgegangen waren, als sie Interesse an einer bestimmten Wohnung hatten. Es war ein Appartement mit herrlicher Aussicht und Dachterrasse gewesen. Das Problem bestand allenfalls darin, dass sich unmittelbar gegenüber der Wohnanlage ein unbebautes Grundstück befand. Darum waren sie zur Baubehörde gegangen, um sich über etwaige Bauvorhaben in ihrer Gegend zu informieren. Sie fanden heraus, dass es noch keine konkreten Pläne gab, prinzipiell aber eine Baugenehmigung für ein Gebäude vorlag, das maximal zweiundzwanzig Meter hoch sein durfte. Würde dies jemand in die Tat umsetzen, hätte ihre Dachterrasse für immer im Schatten gelegen. Damit war ihr Interesse an der Wohnung erloschen.
Das alles war lange her, doch jetzt fragte sie sich, ob vielleicht auch für das Heringsviertel, ja für die gesamte Stadt, ein Bebauungsplan existierte. Ein Plan, der darüber Aufschluss geben konnte, wie sich das Heringsviertel in nächster Zeit verändern würde. Sie hatte von der Praxis aus schon im Servicecenter angerufen, und eine freundliche Mitarbeiterin hatte versprochen, ihr den Plan zu kopieren.
Das schien ihr fast zu einfach, und so betrat sie das Servicecenter der Baubehörde kurz darauf mit einer gewissen Unruhe. Hier roch es wie in allen anderen Ãmtern auch, als würde die Zeit stillstehen. Der Wartebereich war völlig leer, deshalb wandte sie sich sofort an die Rezeption. Maja erkannte die korpulente Empfangsdame mit der dicken Brille an ihrer melodischen Stimme. Ohne zu zögern streckte sie Maja lächelnd eine Kopie des Bebauungsplans entgegen.
»Kommen Sie gern noch mal vorbei oder rufen Sie uns an, wenn Sie irgendwelche Fragen haben.«
Maja nickte und steckte den Plan in ihre Handtasche. Obwohl die Frau überaus freundlich war, wollte sie die Behörde so schnell wie möglich wieder verlassen. Sie erklärte sich ihre Paranoia mit der Mischung aus Ritalin und Schlankheitspillen, die sie vorhin eingenommen hatte. Trotzdem meinte sie Zuflucht im Ali Baba nehmen zu müssen.
Maja hatte sich für denselben Tisch wie beim letzten Mal entschieden. Damals hieà das Lokal allerdings noch Birthes Kaffeesalon, inzwischen war es in Ali Babas Grill umgetauft worden. Sie zweifelte daran, dass Eva Lilleengen seit dem Begräbnis ihres Sohnes noch einmal hier gewesen war.
Maja hätte in unmittelbarer Nähe noch eine Hand voll andere Lokale zur Auswahl gehabt. Lokale, in denen es nicht so penetrant nach Kebab roch â ein Geruch, der sie in erster Linie an einen nassen Hund erinnerte.
Vielleicht hatte sie sich trotzdem für das Ali Baba entschieden, weil hier die ganze Sache ins Rollen gekommen war. Es war ein beklemmender Gedanke, dass seitdem zwei weitere Männer ermordet worden waren und sie sich selbst wie ein gejagtes Tier vorkam.
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Sie öffnete die Tasche und zog den Bebauungsplan heraus, dem jetzt dieselbe Schlüsselrolle zukam wie damals den Obduktionsberichten. Freilich hoffte sie, dass er ihr bessere
Dienste leisten würde, um dem Geheimnis des Heringsviertels auf die Spur zu kommen.
Die ersten Seiten stellten in ebenso groÃspurigem wie unbeholfenem Ton die kommunalen Bauprojekte der nächsten Zeit vor. Die abgebildeten Karten der verschiedenen Stadtviertel waren weitaus interessanter. Sie waren in verschiedene Bereiche gegliedert, die auf den ersten Blick wie die Schlachtstücke eines Tieres aussahen.
Sie blätterte rasch die folgenden Seiten durch, auf denen die lokalen Bautätigkeiten bis zum Jahr 2015 beschrieben waren. Es ging um die Sanierung von Fahrradwegen, Ãnderungen der StraÃenverläufe, den Ausbau des kommunalen Verkehrsnetzes, um denkmalgeschützte Bauten und vieles mehr, aber sie kehrte rasch zu der ersten Karte zurück, die mit »Flächenplan« überschrieben war.
Die eingerahmte Legende am Ende der Seite erklärte, was die einzelnen Signaturen und farbigen Hervorhebungen zu bedeuten hatten. Das rote Gebiet beispielsweise kennzeichnete kommunales Eigentum, gelb war den Wohngebieten vorbehalten, während Büros und Geschäfte blau, Industriebauten lila und Erholungsgebiete grün eingefärbt waren. Darüber hinaus gab es zahlreiche schraffierte
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