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Die Anatomie des Todes

Die Anatomie des Todes

Titel: Die Anatomie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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war.
    Sie selbst hatte sich gegen Kinder entschieden. Jedenfalls damals, als Jan und sie noch mitten im Studium waren. Als sie damals schwanger wurde und ihn nach seiner Meinung fragte, war ihre Entscheidung für eine Abtreibung bereits gefallen. Sie war in dem Moment gefallen, als sie auf der Toilette des Instituts das positive Testergebnis in der Hand hielt. Doch zu dem Eingriff war es nie gekommen, weil sie zwei Tage später zu Hause eine Fehlgeburt erlitt. Später war es noch zu weiteren unfreiwilligen Fehlgeburten gekommen. Sie schien einfach nicht in der Lage zu sein, ein Kind, das sie empfangen hatte, auch auszutragen. In dunklen Augenblicken – so wie jetzt, da sie sich mit dem Brief
abquälte – dachte sie, dass sie von höheren Mächten dafür bestraft wurde, dass sie sich damals gegen das Leben entschieden hatte.
    Dennoch hatte Eva Lilleengen von ihnen beiden das ungleich schwerere Schicksal zu tragen. Maja hatte sich immer an die Hoffnung klammern können, dass es beim nächsten Mal schon klappen würde.
    Maja knüllte den Briefbogen zusammen und warf ihn zu den anderen zerknüllten Blättern in den Papierkorb. Sie konnte Eva all diese Gedanken nicht mitteilen. Das hätte ihre Verzweiflung womöglich noch verstärkt. Nein, sie musste ihr irgendwie vermitteln, dass das Leben ihres Sohnes  – unabhängig von der Ursache seines Todes – nicht umsonst gewesen war, dass es trotz seines sinnlosen Todes nicht seine Bedeutung verlor.
    Sie legte den Kugelschreiber hin und ging in die Küche, um sich einen Tee zu machen. Während sie den Wasserkessel auf den Herd stellte, kehrten ihre Gedanken zu Jan und ihrer gescheiterten Beziehung zurück. Ihre Kinderlosigkeit war sicher nicht die Ursache für den Bruch gewesen, aber besonders förderlich war sie sicherlich auch nicht. Vermutlich hatte sie die Leere zwischen ihnen verstärkt, die dazu geführt hatte, dass sie sich nie wirklich nah sein konnten.
    Doch jetzt stand erst mal das Stadtfest bevor. Jahrhunderte des Wohlstands und Fortschritts sollten gefeiert werden.

37
    Der Sturm raste auf die festlich geschmückte Stadt zu. Eine eisige Polarfront, deren Vorboten Maja und Stig in Gestalt schwarzer Wolken erkannten, die den Horizont über dem offenen Meer verdunkelten. Im Radio hatten sie eine Zehn auf der Beaufort-Skala angekündigt und alle Hörer gebeten, äußerst vorsichtig zu sein, wenn sie vom Stadtfest nach Hause gingen. Maja wusste, dass es in der Notaufnahme und für die Chirurgen im zweiten Stock ein anstrengender Abend werden würde. Auch dieser Sturm würde seine Opfer fordern, sie hatte es schon so oft erlebt. Nach dem Wüten des Polarsturms war nichts wie zuvor.
    Sie und Stig hatten schon überlegt, ob sie sich nicht vorsichtshalber ein Zimmer im Scan Inn nehmen sollten, statt zu ihm nach Hause zu fahren. Die glatten Straßen und der Hinterradantrieb ihres Mercedes’ waren keine glückliche Kombination. Doch sie hatten die Entscheidung erst einmal aufgeschoben. Auf den Wagen war bis jetzt Verlass gewesen, und so hoffte Maja, dass er sie auch diesmal sicher nach Hause bringen würde.
    Auch konnte sie gut und gerne auf das Hotel verzichten. Das Scan Inn gehörte zu einer Zeit, die sie hinter sich gelassen hatte.
    Bevor sie aufgebrochen waren, hatte sie noch eine halbe Valiumtablette mit einem Glas Holunderblütensaft hinuntergespült. Die halbe Tablette sollte verhindern, dass sie schreiend davonlief, sollte das Stadtfest ein bisschen zu gemütlich werden. Und da ihr ein langer Abend bevorstand, lag die andere Hälfte neben ihren Rohypnol-Freunden im
vorderen Fach ihrer Handtasche. Aber sie wollte versuchen, sparsam zu sein und ihre Dämonen während des Festumzugs auch ohne massiven Einsatz von Medikamenten auf Distanz zu halten.
    Nach dem Umzug würde die Pianistin Sidsel Enghart – sozusagen als Höhepunkt der Festlichkeiten – einen Klavierabend geben. Sidsel war eine Tochter der Stadt, die sich in den Konzertsälen dieser Welt inzwischen ein internationales Renommee erspielt hatte und der einzigartigen Begebenheit zu Ehren nach Hause zurückgekehrt war. Die Eintrittskarten waren dem Veranstalter förmlich aus den Händen gerissen worden, doch Stig hatte dank seiner vielfältigen Verbindungen noch zwei Tickets ergattern können. Maja zweifelte keine Sekunde daran, dass die Pianistin, deren Namen sie

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