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Die Anatomie des Todes

Die Anatomie des Todes

Titel: Die Anatomie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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keine Tattoos mehr gemacht hat.«
    Â»Ist er tot?«
    Rebekka schüttelte den Kopf. »Schlimmer. Er hat MS.«
    Maja hatte genug Patienten mit Multipler Sklerose gesehen, um zu verstehen, was Rebekka meinte.
    Â»Kann natürlich trotzdem gut sein, dass er das Tattoo kennt.«
    Â»Wirklich?«
    Rebekka nickte. »Es gibt niemanden, der mehr über Tattoos weiß als Leif.«
    Â»Wo kann ich ihn finden?«
    Â 
    Rebekka führte Maja zur Haustür des kleinen, gelben Hauses, das im hintersten Winkel des Hinterhofes lag. Sie hörten bereits das Dröhnen der Musikanlage im Wohnzimmer.
    Â»Hört sich so an, als hätte er heute gute Laune«, sagte Rebekka.

    Sie öffnete die Tür und bat Maja herein. Das Wohnzimmer lag im Dunkeln, nur eine Schreibtischlampe in einer der Ecken spendete ein wenig Licht. Hinter dem Schreibtisch saß eine reglose Gestalt. Rebekka schaltete das Deckenlicht ein, worauf das geballte Chaos in diesem Raum sichtbar wurde. Sie ging zur Anlage und stellte den ohrenbetäubenden Punkrock leiser.
    Â»Was soll’n der Scheiß?«, rief die Gestalt, die sich erst jetzt bewegte.
    Der elektrische Rollstuhl summte, als er ihnen entgegenrollte.
    Es konnte schon sein, dass über fünfundzwanzig Jahre vergangen waren, seit Leif in London seine Offenbarung erlebt hatte. Sein Hahnenkamm mochte dünn und grau geworden sein, während er die sechzig erreicht hatte. Es konnte auch sein, dass ihn seine Krankheit permanent an den Rollstuhl fesselte. Aber all das bedeutete keinesfalls, dass sich Leif von seinen alten Idealen verabschiedet hatte. Mit seiner notdürftig von Sicherheitsnadeln zusammengehaltenen Lederhose und seinem grellgelben T-Shirt mit der Aufschrift No Future trotzte er gewissermaßen seinem Schicksal. Statt den Eindruck eines leidenden, kranken Mannes zu erwecken, gab Leif eher das Bild eines stoischen Königs ab, der seine Gefängniswärter hinters Licht geführt und seine Zelle in einen Thronsaal verwandelt hatte.
    Â»Na, du alte Schlampe!«
    Er blickte Rebekka herausfordernd an.
    Â»Na, du alter Drecksack!«, erwiderte sie mit derselben Aggressivität in der Stimme.
    Dann beugte sie sich zu ihm hinunter, packte sein Shirt und steckte ihm die Zunge in den Mund. Majas Anwesenheit schien sie nicht im Geringsten zu stören.
    Rebekka setzte sich auf seinen Schoß, hielt sich an der Rückenlehne fest und legte seinen linken Arm auf ihren Oberschenkel.
Es war nicht zu übersehen, dass Leifs körperliche Kräfte mehr oder weniger aufgebraucht waren. Maja bemerkte, dass sich seine Tätowierungen zusammengezogen hatten und auf seinem dürren Arm nur noch wie formlose schwarze Flecken aussahen.
    Leif warf Maja einen misstrauischen Blick zu.
    Â»Wer ist das?«
    Rebekka stellte sie kurz vor und sagte, Maja wolle ihm ein paar Fragen zu einer bestimmten Tätowierung stellen, die sie einmal gesehen hatte.
    Â»Ausgerechnet eine Ärztin! Findest du nicht, dass ich mit denen schon genug zu tun habe?«, knurrte Leif.
    Rebekka strich ihm gutmütig über den Hahnenkamm. »Maja ist nicht so wie die anderen.«
    Â»Die sind doch alle gleich.«
    Â»So, mein Kleiner, jetzt reg dich wieder ab und sag Maja höflich ›Guten Tag‹!«
    Â»Guten Tag«, kam es wie von einem Papagei.
    Â»Hallo …«, entgegnete Maja unsicher.
    Rebekka stand auf und ging in die Küche. »Ich glaube, wir brauchen ein Glas Wein.«
    Â»Aber keine saure Katzenpisse!«, rief Leif, ehe er sich an Maja wandte.
    Â»Zieh die Jacke aus.«
    Â»Was?«, fragte Maja.
    Â»Zieh die Jacke aus und mach’s dir bequem. Ich sehe, dass du schwitzt.«
    Maja legte ihre Jacke über eine Stuhllehne. Sie fühlte sich unbehaglich, weil Leif sie nicht aus den Augen ließ.
    Â»Lass mal deine Arme sehen!«
    Sie zögerte einen Augenblick, worauf Leif sie mit seinem gesunden rechten Arm heranwinkte. »Komm schon, ich beiße nicht.«
    Sie ging zu ihm und streckte Leif ihre Arme entgegen. Er
griff um ihren linken Arm und tastete an den Adern bis zur Armbeuge hinauf. Plötzlich drückte er mit dem Daumen so hart zu, dass sie ein stechender Schmerz durchzuckte. Sie versuchte, ihren Arm zurückzuziehen, doch Leifs verbliebene Kraft schien sich in seiner gesunden Hand zu sammeln, die sie eisern festhielt. Er schloss die Augen, atmete schwer und stieß ein leises Stöhnen aus. Dann ließ er ihren Arm

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