Die Anatomie des Todes
her, Herr â¦Â« Sie warf einen Blick auf das Namensschild an der Tür. »Brynjelsen.«
»Aber sie waren hier. In ihren hohen Militärstiefeln. Das muss man ihnen lassen. Von Stiefeln verstehen sie was.« Er nickte vor sich hin. »Und von Schnürbändern. Die Schnürbänder in ihren Stiefeln sind immer tadellos. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen?«
»Nein, das war vor meiner Zeit.«
Maja zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche und gab sie dem Mann. Sie bat ihn anzurufen, sollte er irgendwas von seinem Nachbarn hören. Er drehte die Karte hin und her, als frage er sich, welches die richtige Seite war. Sicherheitshalber nahm sie eine weitere Visitenkarte und schrieb »Bitte anrufen, wichtig!« auf die Rückseite, bevor Maja sie durch Munkejords Briefschlitz warf.
Doch Maja war mit ihren Hausbesuchen noch nicht fertig. Eine Person befand sich noch auf ihrer Liste, die sicher allein zu Hause war und sich über jeden Besuch freuen würde. Eine Person, die ein wenig Licht in Lilleengens Hausverkauf bringen konnte.
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Das Wohnzimmer machte einen durch und durch gediegenen, doch keineswegs protzigen Eindruck. Blitzblankes Kleinbürgertum sozusagen. In der Ecke stand eine blau gestrichene Standuhr mit Ankermotiv. Gegenüber die Sitzgruppe, in deren einem Sessel Maja Platz genommen hatte. Die Standuhr schlug halb vier, was sie vermutlich seit einem Menschenalter getan hatte. Dass ihrer Besitzerin soeben ein kleines Vermögen zugefallen war, konnte Maja weder
sehen noch schmecken. Denn der ranzige Geschmack der Kuchenroulade, die Eva Lilleengen zum Kaffee servierte, lieà darauf schlieÃen, dass sie das Verfallsdatum längst überschritten hatte. Maja spülte die klebrige Masse mit einem groÃen Schluck Kaffee hinunter und schwor sich, den Rest des Kuchens auf dem Teller liegen zu lassen, wie unhöflich das auch sein mochte. Eva Lilleengen schien in dieser Hinsicht keine Probleme zu haben und schaufelte ihren Kuchen munter in sich hinein. SchlieÃlich gehörte sie zu einer Generation, die partout keine Lebensmittel wegwarf.
Maja hatte befürchtet, dass es sehr schwierig sein würde, den Verkauf des Hauses zur Sprache zu bringen, doch Eva Lilleengen begann ganz von allein von ihrem Sohn zu erzählen.
»Nach seinem Tod gab es so viele Dinge zu erledigen«, sagte sie. »So viele Papiere auszufüllen. Man muss schon fast ein ausgebildeter Jurist sein, um das alles zu verstehen.«
»Gab es denn niemanden, der Ihnen dabei helfen konnte?«
Eva Lilleengen nippte an ihrem Kaffee, ehe sie antwortete. »Niemand auÃer Pastor Melver.«
»Und was ist mit Jos Haus? Wer hat Ihnen da mit dem Verkauf geholfen?« Maja senkte den Blick und starrte auf ihren Teller. Sie wusste schlieÃlich nicht, ob sie ihrer Gesprächspartnerin mit dieser Frage zu nahe trat.
»Der war zum Glück kein groÃes Problem«, entgegnete sie.
Maja blickte auf. »Nein?«
»Ich sollte den alten Kasten ja sowieso übernehmen«, erklärte sie. »Inklusive der Miete bis zum Verkauf.«
»Das muss eine sehr schwierige Situation gewesen sein. Aber wie haben Sie denn so schnell einen Käufer gefunden?«, fragte Maja.
»Eigentlich war es das Maklerbüro Hjemstavn, das einen gefunden hat.«
Sie untersuchte den Aschenbecher und fand unter den vielen Kippen einen halb gerauchten Zigarillo. Sie wischte ihn vorsichtig ab, ehe sie ihn sich ansteckte. Im nächsten Moment war sie in blaugrauen Rauch gehüllt. »An den Namen des Mannes kann ich mich nicht erinnern. Aber er hat mich ein paar Tage nach Jos Beerdigung angerufen. Ein höflicher junger Mann.«
Maja nickte teilnahmsvoll. »Aber woher wusste er denn, dass ihr Sohn ⦠gestorben war? Entschuldigung, das geht mich natürlich nichts an â¦Â«
Eva Lilleengen gab durch eine kleine Handbewegung zu erkennen, dass ihr die Frage nichts ausmachte. Es schien ihr vielmehr gutzutun, endlich über all die Dinge reden zu können, die ihr auf der Seele lagen.
»Davon hat er nichts gesagt. Ich vermute, dass die Gemeinde oder wer auch immer ihn informiert hat.« Sie zuckte die Schultern. »In unserer kleinen Stadt spricht sich doch alles schnell herum.« Eva Lilleengen nippte an ihrem Kaffee. »Er war wirklich sehr höflich«, wiederholte sie wie zu sich selbst.
»Aber eines verstehe ich noch nicht so ganz«, sagte Maja. »Sie haben
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