Die Anfänge meiner Welt
Vier-Stunden-Takt zum Stillen gebracht. Stillen war jetzt plötzlich
die Regel und führte zu vielen weiteren kleinen Ordnungswidrigkeiten in Form von
zuviel oder zuwenig Milch oder den falschen Brustwarzen. Als die Oberschwester
ihre Runde machte, sagte ich ihr, ich wolle nicht stillen, aber sie hörte es
zum Glück nicht, denn am anderen Ende des Saales hatte sie eine
Ungeheuerlichkeit erspäht, eine Frau mit rotlackierten Nägeln. Sie marschierte
an ihr Bett, nahm ihre Hand und warf sie angewidert zurück. »Wir füttern unsere
Babys nicht mit Nagellack!« verkündete sie, blickte triumphierend in die Runde
und rauschte durch die Schwingtür hinaus.
Ich war mir ziemlich sicher,
daß Flaschennahrung bis vor kurzem offiziell das Beste fürs Kind gewesen war,
aber ich opponierte nicht noch einmal gegen den Stillzwang, denn meine Tochter
weckte die uneingeschränkte, besitzergreifende Begeisterung des Pflegepersonals.
Als ich sie das nächstemal sah, hatte sie einen gelockten Blondschopf wie
Shirley Temple. Die Schwestern hatten sie nicht nur gebadet und ihr die Haare
gewaschen, sie hatten ihr Haar auch um den Finger gedreht und aufgebauscht.
Jeden Tag hatte sie eine andere Frisur, je nachdem, wer gerade Dienst hatte.
Sie war der Mustersäugling der
Station: Ihr Gewicht entsprach mit knapp sieben Pfund genau dem (damaligen)
Durchschnitt, sie war genau zum errechneten Termin zur Welt gekommen, und ihre
skurrile Haarkrone war das äußere Zeichen dieses Zustandes der Gnade. Doch ich
teilte die Schwärmerei der Schwestern nicht. Mich beeindruckte die simple
Tatsache der von mir getrennten Existenz des Kindes, um so mehr, als ich es mir
als Jungen beziehungsweise, wie mir jetzt bewußt wurde, überhaupt nicht als ein
Baby aus Fleisch und Blut vorgestellt hatte. Aber so war es auch den anderen
ergangen — meine Schwangerschaft hatte zu Hause einen solchen Wirbel
verursacht, daß keiner von uns imstande gewesen war, darüber hinauszudenken — ,
und jetzt kaufte Vic in aller Eile Windeln, Klemmen, Hemdchen, Nachthemdchen,
gestrickte Schühchen und einen Sonnenhut, und meine Eltern, plötzlich
Großeltern, sahen sich nach einem Kinderwagen um, dessen Aufsatz man auch als
Tragetasche verwenden konnte, wenn ich aus der Klinik entlassen wurde.
Aber wann? Einzige
Informationsquelle waren Gerüchte und Spekulationen, denn auf direkte Fragen
bekam man keine Antwort. Die anderen sagten, man werde fünf Tage bis eine Woche
dabehalten. Die Schwester rufe einen Tag vorher den Ehemann oder jemand anderen
an, der es ihm ausrichten könne, und dann komme er einen abholen und bringe
Straßenkleidung und Schuhe mit (die man nicht hatte behalten dürfen). Man war
in Haft, aber nicht in Einzelhaft. Die Bettvorhänge wurden nur für intime
Untersuchungen und für die Bettpfanne zugezogen — nur an einem Bett blieben sie
immer geschlossen, denn das große, mürrische Mädchen dahinter war eine ledige
Mutter. Ihre Absonderung war das Mal der Schande. Als ich den Fehler beging, einer
Schwester zu sagen, daß ich nach Hause müsse, um meine Prüfungen zu machen,
beschied sie mich (mit einem düsteren Blick auf die geschlossenen Vorhänge in
der Ecke), ich könne von Glück sagen und der Arzt (den wir kein einziges
Mal zu Gesicht bekamen) werde mich schon zur rechten Zeit entlassen.
Ich hatte den schrecklichen
Verdacht, daß man mich zur Strafe dabehalten würde. Es gebe leere Betten auf
der Station, und dann müsse man länger bleiben, denn die Schwestern wollten
einen vielbeschäftigten Eindruck erwecken, sagte eine Frau, die nicht zum
erstenmal hier war. Sie und die anderen Frauen hatten wenig Respekt vor den
Mysterien der Medizin und erzählten blutrünstige Geschichten von unfähigen
Ärzten. Eine Kaiserschnittpatientin habe ein zweites Mal operiert werden
müssen, weil Tupfer in der Wunde vergessen worden seien. Die junge Frau neben
mir war nach Crosshouses gekommen, weil die letzte Untersuchung vor der
Entbindung einen merkwürdigen Befund ergeben hatte, doch erst im Kreißsaal,
nachdem sie einen Jungen zur Welt gebracht hatte, merkte man, was es war.
»Einer von denen hat gesagt, ›Da ist noch was drin‹«, erzählte sie, »und ein
anderer ›Das sind Zwillinge!«‹ Es waren ihre ersten Kinder, und sie wäre nicht
traurig darüber gewesen, ein paar Tage länger zu bleiben, um sich an die neue
Situation zu gewöhnen, denn sie und ihr Mann lebten auf einem abgelegenen
kleinen Hof, und sie hatte keine Hilfe. Die älteren Frauen,
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