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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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können — sie sah viel jünger aus als einige der Mütter in Crosshouses.
Alle waren ein wenig aufgewühlt durch die Umbesetzung der Generationen, aber
bei ihr merkte man es am deutlichsten. Nachdem sie sich wieder gefaßt hatte,
wählte sie immerhin einen Namen aus. Sharon, das sei doch ein schöner Name,
sagte sie in dem verträumten Ton, in dem sie von Perlmutt sprach, ob er nicht
auch in der Bibel vorkomme — die Rose von Sharon? Und er klang wirklich
romantisch, ein Name, der mit Rock und Countrymusic aus Amerika herübergeweht
war: In den sechziger Jahren hießen Hunderte von Mädchen Sharon. Vics Vater
schaute auf die Kleine in ihrem Kinderwagen hinab und sagte: »Jedenfalls ist
sie eine Sage.« Vics Mutter schämte sich für ihren Mann und strickte Jäckchen,
Schühchen und eine Decke. Mein Vater zweifelte an unseren elterlichen
Fähigkeiten, aber immerhin schafften wir es, Sharon zu baden und zu wickeln und
nachts zu füttern. Er hätte wohl gern noch mehr Kinder gehabt, doch die
Mädchenhaftigkeit meiner Mutter war ihm wichtiger. Grandma begrüßte das Baby
als neue Vertreterin der unglückseligen Gattung blonder, blauäugiger weiblicher
Wesen (dazu verdammt, mit dem Feind zu schlafen, verdammt zur Fortpflanzung).
Onkel Bill kreuzte mit einem Koffer voller Schuhriemen, den letzten Resten der
Lagerbestände in den Hereford Stores, in Sunnyside auf, setzte sich auf die Daily
Mails , fragte, warum wir uns nicht den Hintern damit abwischten, und
meinte, die Mutterschaft stehe mir nicht. Von da an wandte er seine
ideologischen Aufmerksamkeiten Clive zu (der jetzt selbst Onkel und darüber
völlig aus dem Häuschen war), wenn auch aus rein politischen Gründen, denn er
hatte nichts für Jungen übrig.

    Für Bill gehörte ich der
Vergangenheit an, ich hatte den Zug der Zeit verpaßt und war zu hirnloser
Fortpflanzung zurückgekehrt. Wie die meisten Genossen hatte er konventionelle
Ansichten über konventionellen Sex. Aber ich glaubte ihm nicht. Ich war keine
Realistin, Vic und ich lebten in einer Dimension von Phantasie und Freiheit,
die ihm verschlossen war.
    Als ich zur ersten Prüfung in
die Schule kam, war ich noch benommen, obwohl ich kein Fieber mehr hatte. Es
war sehr seltsam, wieder dort zu sein, in Sommerkleid und Pumps. Als Miss
Dennis, die Rektorin, am Tor erschien und mich scheinbar besorgt fragte, ob ich
nicht besser zu Hause geblieben wäre, ließ ich sie einfach stehen. Ihre Schule
war das »offene« Zentrum in Whitchurch, die Grenzen, die sie zog, hatten ihre
Gültigkeit verloren. Miss Dennis leistete mir ungewollt die besten Dienste, sie
bestärkte mich in der Überzeugung, daß ich jemand war — auch wenn ich mir wohl
nicht ganz klarmachte, wie ärgerlich es für sie sein mußte, daß ich ungeniert
und ohne Reue zurückgekehrt war. Nach diesem ersten Tag ignorierte sie mich,
und ich spielte die Außenseiterin ohne ihre Hilfe, schrieb in einer Art
Euphorie um mein Leben, berauscht von dem Bewußtsein, endgültig aus dem Takt
der Schulhymne geraten zu sein — das ist die Schu-u-le für mich.
    Die einzige Prüfung, die ich
verpaßt hatte, war Französisch, mündlich und Diktat, weil ich da noch im
Krankenhaus gewesen war. Allzusehr bedauerte ich das nicht, denn mein
gesprochenes Französisch war hoffnungslos. Auf die Idee, an den
Prüfungsausschuß zu schreiben und zu erklären, warum ich nicht zur Prüfung
angetreten war, kam ich nicht.
    Jahre später, als ich selbst
Prüfungsarbeiten benotete, saß ich in Ausschüssen, in denen man versuchte,
leistungsmindernde Katastrophen zu bewerten. Eine Schülerin zum Beispiel hatte
auf dem Weg zur Klausur in englischer Literatur ihren Großvater an einem Baum
auf dem Friedhof hängend vorgefunden. Wie viele Punkte war das wert...? Aber
vielleicht wäre eine Geburt keine Entschuldigung gewesen und hätte den
Prüfungsausschuß, der glücklicherweise nichts von mir wußte, darauf aufmerksam
gemacht, wie abartig ich war.
    Als nächstes ging ich zu Dr.
Clayton, um mit ihm über Verhütung zu reden. Ich machte mich auf ein peinliches
Gespräch über die verschiedenen Methoden gefaßt, aber er sagte nur: »Jetzt, wo
Sie verheiratet sind, können Sie das Ihrem Mann überlassen.« Er meinte damit
(denn er wußte ja, daß Vic nur ein Jahr älter war als ich und ganz
offensichtlich kein Experte auf diesem Gebiet), daß er mich auf keinen Fall
darin unterstützen würde, selbst über meine Fruchtbarkeit zu bestimmen.
    Oder war es ihm peinlich? Wohl kaum. Nehmen

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