Die Anfänge meiner Welt
und meine Mitschülerinnen
jubelten mir zu. Es war mein erster und letzter Augenblick der Popularität in
den sechs Jahren an der höheren Mädchenschule von Whitchurch, und es war genau
das, was die Sportlehrerin von Anfang an befürchtet hatte: Ich gab ein
schlechtes Beispiel. Ich zitterte und errötete wie immer, wenn auch aus anderen
Gründen, und war heilfroh, daß ich so abgenommen hatte und man sehen konnte,
daß ich eine Sünderin im Geiste war, nahezu gewichtslos und nicht mehr lange in
Whitchurch.
Aber es war ein steiniger Weg.
Die Frauencolleges in Oxford und Cambridge schickten mir meine Unterlagen
zurück und schrieben, sie könnten meine Bewerbung nicht berücksichtigen, da sie
nur reife verheiratete Frauen aufnähmen (reif hieß älter als dreiundzwanzig).
Alle anderen sagten bereitwillig und ohne Vorstellungsgespräch zu. Miss Dennis’
Bericht von meinem Fall — ein Mitglied eines Auswahlgremiums erinnerte sich
Jahre später, daß er mit den Worten »Lorna ist attraktiv und intelligent,
aber...« begann und darauf hinwies, daß sich hinter meiner Schüchternheit ein
verdorbener Charakter verberge — kam in den englischen Abteilungen gut an. Vic
wurde hier und da zu einem Gespräch aufgefordert (einem wissenschaftlichen,
versteht sich) und lernte auf diese Weise in Sheffield William Empson kennen;
wir beide wollten unbedingt dorthin und zu seinen Füßen sitzen. Aber es sollte
nicht sein: Die zuständige Behörde in Shropshire bewilligte mir kein Stipendium.
Bei Vic dagegen lief alles glatt, man hatte auch schon jungen Männern Geld
gegeben, die verheiratet vom Wehrdienst zurückgekommen waren. Frauen aber — ob
verheiratet oder nicht — , die mit Männern schliefen, bekamen nichts, obwohl
Stipendien einige Jahre später obligatorisch werden und nicht mehr im Ermessen
der Behörde liegen sollten. Den Beamten muß das bereits bekannt gewesen sein,
nur ich wußte nichts davon.
Aber ich hätte ohnehin nicht so
lange warten können. Wenn ich es jetzt nicht schaffte, würde der Traum
verblassen, Bücher würden zum Hobby und ich zur Hausfrau werden (was ich mir
weniger als lebenslange häusliche Plackerei vorstellte denn als hilflose
Heuchelei). Es gab auch staatliche Stipendien ohne Bedingungen, die ich jedoch
wegen meiner fehlenden Französischprüfungen knapp verfehlte. Aber man konnte
auch andere Wege gehen. Manche Universitäten hatten eigene Eingangsprüfungen
und vergaben Stipendien über seltsame Summen wie etwa fünfzig Guineen jährlich,
die vom Staat aufgestockt wurden. Die erste, die uns im Januar 1961 antwortete,
war (ein gutes Omen) Durham. Wir bewarben uns und führen mit dem Zug durch die
Pennines — weiter nach Norden, als wir je gewesen waren. Wir übernachteten in
getrennten Häusern und schrieben unsere Klausuren im Schatten der Kathedrale,
deren träges Glockengeläut an unseren Nerven zerrte. Alle Gebäude waren
viereckig, nüchtern, schlecht beleuchtet und zugig, mit glühenden Heizkörpern.
Nach Durham ging man, wenn man in Oxford oder Cambridge nicht angenommen wurde,
aber die Gebäude der Universität waren verwirrend beengt und verstreut, als
hätte man sie zwischen die einer anderen Institution gezwängt, der Kirche, wie
es schien. Ich befand mich zum erstenmal in einer Universität, aber es war, als
würde ein Pfarrhausgeist in den dunklen Ecken lauern und mir ins Ohr flüstern —
»Unsterblich, unsichtbar... Alterungsschäden...«.
Mein Vorstellungsgespräch nahm
mir jede Hoffnung auf einen Studienplatz in Durham. Professor Clifford Leech
lehnte sich hinter seinem Schreibtisch zurück, begrüßte mich überschwenglich
und reichte mich dann an Nicholas Brooke weiter, ein winziges Männchen, das am
Rande des Lichtkreises der schwenkbaren Lampe saß. Er war spindeldürr und
angespannt und sprach mit krächzender Stimme, in ungeduldigem, ironischem Ton.
Als wir zu Shakespeare kamen (er blätterte in meiner Arbeit, schien aber nicht
zu finden, was er suchte) und ich mühsam wiederholte, was ich geschrieben
hatte, zog er fragend eine Augenbraue hoch und nannte die eigentlichen Urheber
meiner Gedanken — L. C. Knights’ How Many Children had Lady Macbeth? Ja.
Und diese enthusiastische Passage über die späten Stücke und das Entschweben in
die Unsterblichkeit, war das nicht Wilson Knight? Ich nickte mit
glühendem Gesicht. Es war qualvoll, persönlich zu dem Stellung nehmen zu
müssen, was ich geschrieben hatte. Auf dem Papier hatte ich mir allerhand
zugetraut, ich war
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