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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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ein anderer Mensch gewesen — viele andere Menschen, wie sich
zeigte. Eine Betrügerin.
    Er stellte mir Fragen zu
zeitgenössischen Romanen, und ich erwähnte die anständigen, die ich gelesen
hatte, darunter C. P. Snows Die Lehrer. Ja? Ich fand das Buch
unglaubwürdig, ich könne mir nicht vorstellen, daß Universitätsdozenten sich
auf so kleinliche Intrigen einlassen würden. Die beiden lachten; offensichtlich
fanden sie mich schrecklich naiv. Aus einer eiskalten Telefonzelle rief ich
meine Mutter an, ein R-Gespräch. Als sie sich mit der sieben Monate alten
Sharon unterm Arm meldete (das Kinderhüten machte ihr inzwischen nichts mehr
aus), sagte ich ihr, ich hätte keine Chance.
    Aber ich hatte mich getäuscht.
Die Inquisition in diesem kahlen Raum war eine Feuerprobe, die darüber
entscheiden sollte, ob ich für ein Stipendium geeignet war — und ob es sich
lohnte, meinetwegen Durhams klösterliche Collegeregeln zu ändern. Als ich in
St. Aidan’s Miss Scott kennenlernte, stellte sich heraus, daß sie derselben
Generation angehörte wie Miss Roberts und deren pragmatische Sicht meines
Vergehens teilte. Studentinnen würden in St. Aidan’s künftig nur noch aufgrund
von Wissens- und Bildungslücken abgewiesen werden. Sie hatte damit einen
gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, aber sie machte kein Aufhebens davon,
sondern warnte mich nur vor den verblödenden Nebenwirkungen der Hausarbeit, die
das Zusammenleben mit einem Mann dem Vernehmen nach mit sich bringe. Sie war
nett und geistreich und kassierte gelassen die fünfzig Guineen jährlich, die
mir für nicht näher benannte Collegekosten und ungegessene lauwarme
Käsemakkaroni zugesprochen wurden. Aber das machte nichts: Mein staatliches
Stipendium bemaß sich nach dem Einkommen meines Vaters, und ich bekam den
vollen Satz, ebenso Vic, bei dem der schmale Lohn seiner Mutter angesetzt
wurde. Es ging uns gut, und wir konnten sogar etwas zum Haushaltsgeld in
Sunnyside beisteuern, wo Sharon in der Obhut meiner Mutter blieb.
    Auch Sharon hatte ihren Platz
gefunden. Sie und meine Mutter hielten in der Küche Zwiesprache miteinander:
Sharon saß in ihrem Hochstuhl und spielte mit einer grauenvollen, nassen
Mischung aus Spielzeug und Zwieback, meine Mutter sagte ihr, was die Katze oder
die Vögel draußen vor dem Fenster machten, sprach über die schönen Farben des
Feuers, das Klappern des Briefschlitzes an der Haustür, wenn der Briefträger
kam, oder über Clive, der jetzt auf die höhere Schule ging, aber immer noch
jeden Nachmittag mit Getöse hereinpolterte. Sharon lernte schon sehr früh
sprechen, und eine Zeitlang schien es, als sei sie, wenn sie dort saß und
Befehle erteilte oder höfliche Konversation machte, so zufrieden mit ihrem
Leben, daß sie sich nie entschließen würde, auch laufen zu lernen. Sie zog die
Großeltern ihren unbeständigen abwesenden Eltern vor; die Großeltern waren viel
mehr, wie Eltern sein sollten, wie die Eltern in Bilderbüchern — und sie war
viel mehr ihr Baby, als ich es gewesen war.
    Wenn Sharon schlief und meine
Eltern im Bett waren, gingen Vic und ich in den Rugbyclub zu den Säufern und
Bohemiens der Stadt. In den Monaten bis Durham nahmen wir wieder am Leben in
Whitchurch teil, an dessen anrüchigem Rand. Vic hatte im Winter in der
Ehemaligen-Mannschaft Rugby gespielt, deren Mitglieder — ebenso wie ihre Gegner
— größtenteils mindestens zehn Jahre älter und weit schwergewichtiger waren als
er. Sein Mut hatte ihm dort außer Narben und blauen Flecken auch ein gewisses Prestige
verschafft. Einmal bekam er einen so heftigen Schlag auf den Kopf, daß er mich
nach dem Match nicht mehr erkannte; sein erfreutes Grinsen verriet jedoch, daß
er ziemlich angetan von mir war, auch als völlig Fremde. Das beste an den
Ehemaligen war ihr Club, ein schäbiges Fertighaus am Stadtrand mit
dichtgeschlossenen Vorhängen, auf denen Guiness-Werbung prangte. Um halb elf,
wenn die anderen Pubs zumachten, erwachte der Club zum Leben. Ich lernte dort
trinken und rauchen. Vic war mir darin voraus, und anfangs mußte ich nach
einigen Gläsern Gin mit Bitter Lemon immer in höchster Eile zur Toilette und
mich übergeben, aber durch Experimentieren fand ich heraus, daß ich Gin pur bei
mir behielt. Wir wurden auch routinierte Dartspieler, was uns in Durham zugute
kam — im anderen Durham, in dem wir lebten, dem nicht-universitären, wo nach
der Polizeistunde Teilzeit-Fensterputzer über dialektischen

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