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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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fleißig drauflos und wetteiferten um die
weißesten Spitzenvorhänge, Zierdeckchen und Sesselschoner (in dieser Luft ein
nie endender Kampf), doch Grandma und Katie hatten dafür nur Verachtung übrig.
Sie waren Ketzerinnen, sie hielten sich nicht an die Gebote. Wenn die
Gesellschaft sie nicht mit Dienstbolzen versorgte, würden sie den Teufel tun
und sich im Haushalt abschuften.
    Meine Mutter aber saß zwischen
zwei Stühlen. Sie hatte einerseits die Geringschätzung für Hausarbeit geerbt,
war aber andererseits von der Vorstellung durchdrungen, Hausarbeit sei heilige
Frauenpflicht. Und so wischte sie Staub, fegte, schrubbte und bügelte, aber sie
tat es voll Selbstverachtung und — was es noch viel schlimmer machte — ohne die
leiseste Ahnung, wie sie es anstellen sollte. Alle Hausarbeit ist vergeblich,
da sie immer wieder von neuem anfällt. Im Pfarrhaus war das noch offenkundiger,
denn wenn meine arme Mutter »fertig« war, sah es nicht einmal für kurze Zeit
wirklich sauber aus. Beim Aufwischen verteilte sie den Schmutz nur — und man
sah es ! Dieses teuflische Syndrom war in Südwales auf wundersame Weise
außer Kraft gesetzt, und um so mehr hatte man dort das Gefühl, die Realität zu
schwänzen. Alle waren hier wieder Kinder, nicht nur Grandma, die es wohl
ohnehin war, sondern auch meine Mutter.
    Die Schubladen im ersten Stock
enthielten parfümierte Taschentücher, falsche Perlen, bestickte Bänder, bunte
Knöpfe, Spitzenreste, Lavendelkissen, gefärbte Federn. Man hortete. Grandmas
besondere Liebe galt allem, was aus Perlmutt war. Der Regenbogenschimmer dieses
Materials war für sie der Inbegriff des Schönen, und schon das Wort hatte in
diesem Haus einen besonderen Glanz. Ihr Vater hatte so gut wie keinen Eindruck
hinterlassen, die Mutter aber wurde täglich als Muster an Anmut,
Liebenswürdigkeit und Kultiviertheit beschworen. Wenn Grandma und Katie sich feinmachten
und seufzend in den Spiegel schauten, suchten sie darin das Gesicht ihrer
Mutter. Und wenn sie nach ihrer Rückkehr die knisternden Korsetts aufhakten,
die engen Schuhe abstreiften und eine weitere Kanne Tee kochten, bemutterten
sie sich, so wie sie es getan hätte. Sie muß ihre Töchter maßlos verwöhnt
haben, denn schon der bloße Gedanke an sie machte die beiden froh und
zufrieden, obwohl nichts, was sie von ihr erzählten — so wenig wie ihr ziemlich
ausdrucksloses Gesicht auf den Fotografien — , ihr Charakter verlieh. Außer
ihrem Haar. Über ihr Haar gerieten sie ins Schwärmen: naturgelockt, nicht
blond, nicht rot, nicht kupferfarben, sondern golden. »Wie eine
Königin«, seufzten sie, ganz als sei sie eine Märchenprinzessin gewesen,
imstande, Gold und Edelsteine aus ihrem Haar zu spinnen. Jedesmal, wenn sie von
ihr sprachen, fielen früher oder später die Worte »wie eine Königin«, eine
Wendung, die zum Symbol ihres geheimnisvollen Zaubers wurde.
    Die Hereford Stores waren
vollgestopft mit Andenken. In Pralinenschachteln wurden Hunderte von
Ansichtskarten verwahrt: hochglänzend, geprägt, in unnatürlich schönen Farben
schimmernd. Eine aus der Zeit des Ersten Weltkriegs (Katies Jugendblüte), die
ich besonders eingehend studierte, zeigte einen gutaussehenden Offizier in den
Armen einer hübschen Krankenschwester, an seinem Kopfverband ein kleiner
scharlachroter Fleck, im Hintergrund Rauchwolken, ein dezenter Hinweis auf eine
ferne Schlacht. Alle diese Bilder waren durch die Assoziationen, die sie
weckten, geheiligt. Sie gehörten der Welt eingemotteter Hoffnungen an, jenem
gespenstischen Wunderland kitschiger Unschuld, wo in einem nicht mehr
vorstellbaren Winkel der Zeit ein jugendlicher Grandpa eine noch jüngere
Grandma kennengelernt und geheiratet und das Tor zur Hölle geöffnet hatte.
    Wie war es dazu gekommen? Wie
war es möglich gewesen, daß er sich in ein Mädchen fast ohne Verstand
verliebte, dessen Äußerungen sich mehr oder weniger auf Flüche und Gurrlaute
beschränkten? Ein Mädchen, das sich nicht im mindesten für Literatur, Musik,
Malerei oder sonst etwas außer Pfefferminzcreme und Rüschenblusen
interessierte? Und warum nahm sie einen dürren Hungerleider von Hilfspfarrer,
der seinen Weg erst noch machen mußte? Einen klugen, leidenschaftlichen,
begabten Mann, wenn man an ihn glaubte, einen Bildungsprotz, Wüstling, Snob,
Schmierenkomödianten und anderes mehr, wenn man es nicht tat. Ihre
beiderseitigen Träume und Bedürfnisse müssen sie blind gemacht haben. Ihm hatte
es vermutlich ihr damals noch

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