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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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außerhalb
der Öffnungszeiten kaum weniger Kundschaft haben als innerhalb. Nichtsnutzige
Typen rüttelten zu jeder Tages- und Nachtzeit an der Tür und wollten ein paar
Zigaretten oder einen halben Laib Brot. Und natürlich auch jene knapper
werdende Ware, auf die Kate und Stan sich zunehmend spezialisierten: gepumptes
Geld.
    Katie gewährte Kredit mit einer
Mischung aus Empörung, Resignation und Mitleid und ließ sich dann seufzend und
mit mißbilligendem Zungenschnalzen wieder am warmen Küchenherd nieder, um über
die späten Kunden zu klatschen. (»Die haben wieder den Jimmy hergeschickt, das
arme Kerlchen, eine Frechheit ist das.«) Doch Stan hatte ungleich raffiniertere
Methoden, die er während der Weltwirtschaftskrise entwickelt hatte. Eigentlich
sollten sie geheim bleiben — ein Wunsch, der seiner larvierten
Geistesgestörtheit entsprang — , aber er war so stolz auf sein System, daß er
mich eines Tages in die Lagerräume und den Speicher mitnahm, um es mir
vorzuführen. Das Lager befand sich in einem separaten Gebäude, einem
scheunenartigen Holzhaus mit fehlenden Bodenbrettern und wackligen Treppen.
Seifenschachteln und Kerzen waren dort gestapelt, Blechtabletts und Jutematten
und ganz oben, vor Feuchtigkeit geschützt, Kartons mit Zigaretten — nichts
Ungewöhnliches auf den ersten Blick. Erst wenn man sich an diesen ganz normalen
Dingen vorbeigezwängt hatte, gelangte man in Stans Fundgrube.
    Hoch aufgeschichtet, glitzernd
und verstaubt lagerten dort geschwungene Metallgeweihe und Stacheln und Fasern
aus Draht, die sich bei näherem Hinsehen als Teile von Fahrrädern entpuppten —
Lenkstangen, Räder, da und dort eine Gabel oder ein Sattel. Auch kleinere Räder
waren da, jeweils vier Kinderwagenräder, und sogar einige komplette Kinderwagen,
gefährlich übereinandergeschoben wie nach einem Unfall. Besonders stolz aber
war Stan auf die Säcke, die er aus Angst vor Dieben im Obergeschoß verwahrte,
wo die Löcher im Boden als Fallen fungierten. Sie enthielten Elfenbein:
konfiszierte Klaviertasten, für Stan (zusammen mit seinen anderen Trophäen)
offenbar ein geschickt angehäuftes Vermögen, aller Reichtum der Welt, beinahe
jedenfalls, unermeßliche Schätze auf kleinstem Raum.
    Er hatte seinen Schuldnern ihre
unentbehrlichsten Besitztümer — ihre Mobilität und ihre Musik — als
Sicherheiten abverlangt. Die Pfänder wurden nie eingelöst, aber das störte Stan
nicht im geringsten. Er war von seinem System so begeistert, als hätte er eine
eigene Währung erfunden und sei darin heimlicher Millionär. Er hielt das
Elfenbein und die Räder in Ehren und betrachtete das Lager als eine Art Tresor.
Es war sein Pendant zu den Duftkissen- und Perlensammlungen seiner Schwestern.
Sie rümpften die Nase über seine unerklärliche Vorliebe für diesen Krempel, ich
aber begriff, glaube ich, schon als Kind irgendwie — denn ich liebte die
Kinderwagen und Fahrräder und war fasziniert und beeindruckt von den geraubten
Zähnen all der Klaviere — , daß dieses Lager nur ein weiterer Anbau am
Phantasiegebäude der Hereford Stores war. Die Geschwister (Metzger Tom
ausgenommen) hatten mehr oder weniger vergessen, daß ein Laden dazu da war,
Waren gegen Geld zu tauschen; seine wahre Zweckbestimmung war die eines
Schreins der Vergangenheit. Mutters emotionale Großzügigkeit hatte sie alle drei
zu zwanghaften Sammlern gemacht.
    Die bankrotte Idylle währte
nach dem Krieg noch fast zehn Jahre. Und selbst als Katie doch noch heiratete
und erschreckend kurz danach an einem Schlaganfall starb — womit sie sämtliche
Mythen über die Männer bestätigte — , sicherten die Hereford Stores Onkel Bill,
dem unehrbaren Bruder meiner Mutter, noch einen bescheidenen Lebensunterhalt;
er teilte Stans schattenhafte Existenz, bis er — irgendwann um 1960 — wegen
Hehlerei verknackt wurde. Zum letztenmal wurde das GESCHLOSSEN-Schild an die
Tür gehängt, und diesmal war das Wort ernst gemeint.
    Ihre Besuche in Südwales
ergänzte Grandma durch andere Genüsse einer Traumwelt. Hamstern konnte sie
überall, und obwohl Shrewsbury und Chester in ihren Augen nicht im
entferntesten an Cardiff heranreichten, fand sie in den Straßen doch das alte
Gefühl der Geborgenheit wieder, und die Cafés und Kinos schirmten sie ab gegen
das feindselige Rauschen der Bäume und den heranwehenden Mistgestank. Diese
Ausflüge waren reine Frauensache, verbunden mit stundenlangem Zurechtmachen und
der anschließenden Fahrt zum Bahnhof mit dem

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