Die Anfänge meiner Welt
nicht schwabbeliger Zuckergußleib angetan, ihr
das angenehme Gefühl, umworben, das Prestige, geheiratet zu werden. Die
Empörung, mit der sie von der ganzen unerfreulichen Angelegenheit sprach, läßt
darauf schließen, daß sie in völliger Unkenntnis der technischen Einzelheiten des
Geschlechtsverkehrs und des Kinderkriegens heiratete und das alles abscheulich
fand.
Für ihn (so ist anzunehmen) war
die Entdeckung, daß sie kaum des Lesens und Schreibens kundig und eine rechte
Banausin war, weniger traumatisch. Ein hübsches, hohlköpfiges Mädchen zu
heiraten war schließlich das Übliche, und daran hat sich seither nichts
geändert, auch wenn die Partner sich heute vorher besser kennenlernen. Hilda
Thomas und Thomas James Meredith-Morris können sich damals, im sittsamen Jahr
1916, nicht sehr gut gekannt haben; in dieser Hinsicht waren sie nun einmal
Kinder ihrer Zeit. Doch ihre Ehe war mehr als ein ganz normaler Fall häuslicher
Entfremdung, und das lag daran, daß Grandma nicht bereit war, sich in ihr
Schicksal zu ergeben. Sie war und blieb wütend, an jedem Tag ihres Lebens, und
sie war sich ihrer Sache so sicher — man hatte sie so nachhaltig verwöhnt -,
daß sie immun war gegen den gesellschaftlichen Druck, die Propaganda, die bei
den meisten Frauen bewirkte, daß sie sich mit der Rolle der Ehefrau
zufriedengaben. Sex, stolze Armut, die Pflichten der Mutterschaft, ganz zu
schweigen von den Aufgaben der Pfarrgehilfin — das alles lehnte Grandma in
Bausch und Bogen ab. In ihren Augen waren es üble Beleidigungen, teuflische
männliche Machenschaften mit dem Ziel, sie zu demütigen. Als Grandpa sich dem
Suff und anderen Frauen ergab (er hätte es vielleicht in jedem Fall getan, sie
aber lieferte ihm damit, daß sie den heimischen Herd des Pfarrhauses zu einem
so ungastlichen Ort machte, eine Art Rechtfertigung dafür), kannte ihr Abscheu
vor ihm keine Grenzen mehr. Er hatte sie mit unlauteren Mitteln dazu gebracht,
ihr wahres Zuhause, ihre Kindheit, den Laden, in dem man für nichts zu bezahlen
brauchte, die immerwährende Teegesellschaft zu verlassen. Es war, als hätte er
Sex und Schmerzen, Mangel und Preisgegebensein geradezu erfunden. Sie stellte
patriarchalisches Denken auf den Kopf: Für sie war er der liebe Gott.
Denn das alles dachte er sich nur aus, um sie zu quälen und ohne daß er sich
auf eine höhere Macht berufen hätte. In Grandmas Weltbild gab es keinen
Allmächtigen, der die Verantwortung trug und ihn entschuldigt hätte. Sie war
eine eingefleischte Heidin, ihre Sakramente waren getoasteter Teekuchen und
eine Tasse Tee, ihr Rosenkranz war aus dem Haar ihrer Mutter geflochten. Und so
strafte sie das Leben, das er ihr bot, seine schäbige, boshafte männliche
Erfindung, mit Verachtung und spann sich in den Kokon ihrer Erinnerungen ein.
Ihre Besuche in den Hereford Stores waren die Rettungsleine, die sie mit der
Vergangenheit verband.
Doch mit dem Laden ging es
bergab. Schritt für Schritt hatten sich die Geschwister vom Goldstandard ihrer
Mutter entfernt. Toms Fleischereiabteilung schien zwar noch halbwegs stabil —
die Fleischrationierang hatte sie über Wasser gehalten oder zumindest ihren
Niedergang verschleiert — , aber sobald man sich von seiner nach Talg und
Sägemehl riechenden Theke abwandte und in Katies und Stans Reich blickte (in
dem ein scharfer Geruch nach Tabak, Käse und Schmierseife hing), sah man, daß
das Geschäft alles andere als gut ging. Die Kunden, die älteren zumindest,
kamen zwar noch, aus Gewohnheit und weil sie ihre Einkaufstaschen nicht den
Hügel hinaufschleppen konnten, aber sie kauften kleinste, durch Armut ebenso
wie durch die Lebensmittelmarken rationierte Mengen. Als ich größer wurde und
das Jahr 1950 näher rückte, ging es mit der Wirtschaft allmählich wieder
aufwärts, aber die Hereford Stores blieben auf der Strecke, ihrem Schicksal
überlassen, immer leerer und verstaubter. Sobald ich gut genug Geld zählen
konnte, durfte ich Kaufladen spielen und aus einer offenen Packung an der Kasse
Woodbine-Zigaretten ohne Filter verkaufen, jeweils ein oder zwei Stück. Meine
Kunden waren gebeugte Männer mit chronischer Bronchitis und große Jungen von
dreizehn oder vierzehn Jahren, die rätselhafterweise nicht zur Schule gingen.
Männer, die Arbeit hatten, und ihre Frauen kauften woanders ein und kamen nur
manchmal nach Geschäftsschluß, weil jeder wußte, daß Katie und Stan keinen
Nachzügler abwiesen. Die Hereford Stores gehörten zu jenen Läden, die
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