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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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Jahrbücher aus Valmas und Billys Schulzeit, in denen mit
Schnur zusammengebundene Doppeldecker vorkamen, Schulmädchenintrigen, die durch
Bubiköpfe und Trägerröcke noch aufregender wurden, und Spiele wie Lacrosse.
Edgar Rice Burroughs läßt Tarzan im Dschungel ganz allein lesen lernen: Tarzan
stößt auf das Lager seiner toten Eltern, wo er neben ihren blanken Gebeinen
einige halb vermoderte Bücher entdeckt. Anfangs hält er die schwarzen
Buchstaben für Insekten und versucht, sie vom Papier zu klauben und zu essen,
doch schließlich begreift er. Er kann dann zwar lesen und schreiben, aber
sprechen kann er nicht. In ganz ähnlicher Lage befand ich mich; auch meine
Ausdrucksweise wurde mit den Jahren immer unbeholfener, und ich konnte Tarzan
gut verstehen. Ich hatte zwar nicht ohne Hilfe Lesen und Schreiben gelernt,
doch nachdem Grandpa mir das Lesen beigebracht hatte, durfte ich mit den
Büchern tun und lassen, was ich wollte. Das Lesen hatte nichts Ehrerbietiges an
sich, und es war auch nicht das einzige, was man in diesem Papierwald anfangen
konnte. Grandpa erlaubte mir sogar Verbotenes. Einmal, als ich mich langweilte
— ich war fünf — , zeigte er mir, wie man mit der großen Schere umgeht, und ich
schnitt die Frauen aus dem Oxendales-Katalog in ihren langen New-Look-Röcken
und pompösen Hüten aus — manche zerschnitt ich auch. Das führte, als meine
Mutter und Grandma nach Hause kamen, zu einem denkwürdigen Donnerwetter. Mit
scharfen Gegenständen zu spielen war natürlich strengstens verboten, und
obendrein hatte Grandpa mich angestiftet, ausgerechnet die Objekte ihrer Träume
zu verstümmeln.
    Wäre er länger am Leben
geblieben, hätten wir uns mit Sicherheit voneinander entfernt. Er hätte genug
von mir bekommen, und ich hätte den Glauben an ihn verloren. Aber er starb und
entschwand listigerweise ins Dunkel, und seine Faszination blieb intakt. Der
zweite Schlaganfall 1952 warf ihn nieder. Er lag in dem hinteren kleinen
Wohnzimmer im Koma, der Arzt kam, trank Whisky und ging wieder, Besucher wurden
abgewiesen, und im Haus wurde nur noch geflüstert.
    Grandma, unerbittlich bis zum
Schluß, bestand darauf, daß der Sterbende zur Seite gehoben wurde, damit sie
das Bettzeug wechseln konnte, sonst werde er noch die gute Matratze ruinieren,
denn zum Ende hin war er inkontinent. Für sie hatte sich nichts geändert, er
war ihr so widerwärtig wie eh und je, und vielleicht machte er das alles ja mit
Absicht. Der Tod konnte die beiden nicht noch mehr scheiden, als das Leben es
schon getan hatte — doch das bedeutete nicht, daß sein Sterben sie von ihrer
Empörung und ihrem Groll erlöste. Sie war die einzige, die meine ungläubige
Verzweiflung linderte, denn sie benahm sich so, als sei er noch am Leben. Als
Onkel Billy — der fanatische Realist — das merkte, meinte er, ich müsse mit
eigenen Augen sehen, daß der Tod endgültig sei, und damit basta. Gegen den Protest
meiner Mutter und ungeachtet meiner Gegenwehr, zerrte er mich ins Zimmer, damit
ich der Leiche einen Abschiedskuß gab. Grandpa lag noch in seiner schwarzen
Soutane auf dem Bett, die Hände über der eingesunkenen Brust gekreuzt, das Kinn
mit einem großen weißen, auf dem Kopf verknoteten Taschentuch hochgebunden wie
bei Marleys Geist in Dickens’ Weihnachtslied. Er war der erste Tote, den
ich sah, und es sollte für lange Zeit auch der letzte sein, und wenn es Billy
wirklich darum gegangen war, die geheimnisvolle Aura zu zerstören, die Grandpa
für mich umgab, dann war es ihm nicht gelungen. Diese letzte Szene, die
Grandpas Wesen so sehr entsprach, machte seine Apotheose vollkommen.
    In der Schule platzte ich mit
der Geschichte von unserer makabren letzten Begegnung heraus — mit beschämenden
Folgen. Am Tag der Beerdigung, bei der ich nicht dabeisein durfte, sollte die
ganze Klasse in ehrerbietigem Schweigen stillsitzen, doch statt dessen
tuschelten wir miteinander und mußten uns das Kichern verbeißen. Die Kirchenglocke
läutete scheinbar direkt über uns (die Schule lag neben der Kirche), und wir
hatten uns in eine überdrehte Gruselstimmung hineingesteigert. Vielleicht war
er ja gar nicht richtig tot. Alle erschauerten, als Nerys Jones, meine bleiche
Banknachbarin, meinte, die Glocke werde ihn bestimmt aufwecken. Er werde sich
im Sarg kerzengerade aufsetzen, das Kinn hochgebunden, als hätte er
Zahnschmerzen, und der versammelten Gemeinde einen Riesenschreck einjagen. Wir
bogen uns vor Lachen bei dieser Vorstellung und

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