Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
Vom Netzwerk:
verklebt. Trotz ihres wilden
Paddelns kommt sie kaum von der Stelle. Ich tat es ihr gleich, beide lernten
wir hundepaddeln, und bald konnten wir mühelos längere Strecken überwinden,
sogar in dem gräßlichen Bad.
    Daß wir unzufriedene Töchter
waren, führte uns zusammen, und als wir zusammen waren, konnten wir unsere
Eltern sich selbst überlassen. Kurz vor ihrem dreizehnten Geburtstag war Gail
Brautjungfer bei der standesamtlichen Trauung ihrer Mutter, und uns beiden
erschien das wie ein Übergangsritual. Wir bildeten jetzt eine Art
Miniaturgeneration für uns allein, wir konnten es kaum erwarten, Teenager zu
werden. Ohne Gail hätte ich mich niemals so entschieden auf diese Rolle werfen
können. Sie vertrieb die Schatten der Einsamkeit, nicht aber deren geheime
Freuden — eine mögliche Definition von Freundschaft.
    Das Schwimmen war nach meinen
vergeblichen Versuchen, Radfahren und Seilklettern zu lernen, etwas
Wunderbares. Und ich konnte es auch allein tun, als Teil meiner Zwiesprache mit
Hanmers matschiger Seele. Ich log meinen Eltern vor, ich sei mit Gail
verabredet, und machte mich über die Wesen davon, um ganz für mich allein zu
schwimmen. Einmal kam die verhutzelte Mrs. Brown heraus, die in einer der
ältesten Hütten am See hauste — der Fußboden war aus gestampftem Lehm, und wenn
sie am Feuer saß, hatte sie zur Gesellschaft einen Schwan auf dem Schoß — ,
schüttelte die Faust und prophezeite mir, eines Tages würde ich ertrinken. Ich
trat Wasser und winkte zurück. Dichtung für die Jugend.

DRITTER TEIL

 
     
     
    13

All Shook Up
     
     
     
     
    Wann immer ich zu Gail kam,
stand ihre Mutter Ivy mit Kopftuch und einer Zigarette im Mundwinkel auf einer
Trittleiter und schob gekonnt eine eingekleisterte Tapetenbahn zurecht, so daß
die klassizistischen Schnörkel oder die Bambushaine genau zusammenpaßten.
Jetzt, da Ivy wieder verheiratet war, bewohnte auch sie ein Gemeindewohnhaus,
in Horseman’s Green. Hier stürzte sie sich mit rastlosem Eifer ins
Hausfrauendasein. Sie verschönerte das ganze Haus mit Strukturtapeten in
verschiedenen pastellfarbenen Mustern und fand so großes Vergnügen daran, daß
sie, kaum war sie mit einem Zimmer fertig, an einer Ecke zu zupfen begann, die
Tapete abzog und wieder von vorn anfing. Gails neues Zuhause war immer im
Entstehen begriffen, und das war ihr gerade recht, denn sie war viel zu lange
Einzelkind einer alleinstehenden Mutter gewesen, um sich mit der neuen
Situation anfreunden zu können.
    Für ihren Stiefvater war sie
Luft. Er hieß Mr. Ward und war Arbeiter, ein ruhiger, verschlossener Mann.
Seine Leidenschaft war das Züchten von Wellensittichen im Garten. Gail strich
deshalb die Wellensittiche von der Liste der Lebewesen, die sie liebte, nur für
den schwarzglänzenden Hirtenstar, der Ivys Raucherhusten und das Lispeln von
Gails neuer kleiner Schwester Denise perfekt nachäffen konnte, hatte sie etwas
mehr übrig. »Mammi if fo dumm«, flüsterte er, wenn man ganz nahe an den Käfig
herantrat. Gail fand das auch. Sie war ein Kinderstar, dem das Erwachsenwerden
schwerfiel. Als kleines Mädchen war sie mit ihrer natürlichen Anmut, ihren
Locken und ihren hübschen Kleidern umschwärmter Mittelpunkt gewesen, jetzt gab
sie sich alle Mühe, eine linkische Jugendliche zu werden.
    Wir waren wie füreinander
geschaffen, wiedergeboren als beste Freundinnen. Zusammen waren wir der
Inbegriff des Teenagers. Wenn wir abends auseinandergerissen wurden, blieben
wir über Radio Luxemburg dennoch verbunden und verfolgten die Top Twenty bis zu
Platz eins, für den Fall, daß unser Idol von irgendeinem Schnulzenheini, einem
Relikt aus der Zeit vor der Revolution, gestürzt worden war. Wir gingen auf
Nummer Sicher. Aus Postern und Zeitungsausschnitten bastelten wir uns einen
Helden, ein narzißtisches Monster, Idol unserer unerfüllten Träume. Für mich
hatte er Ennui im Überfluß, für Gail sinnliche Leidenschaft. Er hatte Weichheit
und Härte, blasse, glatte Haut, eine dichte, dunkle Mähne und hungrige,
lüsterne Augen mit Bambiwimpern. Er ging in die Knie vor Lust, wenn man ihm die
Zügel schießen ließ, er klammerte sich ans Mikrofon (oder war es die Gitarre?),
als gälte es sein Leben, und schmachtete: »Jus’take a walk down lonely street,
Jus’ put a chain aroun’ my neck an’ lead me anywhere, don’ be cruel...«
Größtenteils war es Elvis, aber schließlich war Elvis niemand, er gehörte
allen. Sein schlaffer Mund, seine obszön dicke Zunge und

Weitere Kostenlose Bücher