Die Anfänge meiner Welt
dieses aufflackernde
spöttische Grinsen waren sein Markenzeichen, lange bevor der Zeitgeist ihn mit
Tuttifrutti vollstopfte und zum König des Kitschs krönte.
Elvis und seinesgleichen waren
träge, sie wurden nicht von Ehrgeiz getrieben, sondern von ihren Drüsen. Sie
hielten sich schlecht, vollführten krampfhafte Zuckungen, klagten über Fieber
und Kälte; Komiker verglichen sie mit Affen, eine Chiffre für mehr Schein als
Sein. Elvis stammte aus ärmlichen Verhältnissen, Jerry Lee Lewis mit seinem
ekstatischen Baptistengestammel (»Great Balls of Fire«!) aus noch ärmlicheren —
arme Weiße, weißer Abschaum, der die Grenze zwischen Schwarz und Weiß
verwischte. Es waren Hinterwäldler, denen das carpe diem aus allen
Knopflöchern schaute. We want it now. Sie kamen aus den hintersten
Winkeln Amerikas und hatten lehmverkrustete Seelen, sie waren Helden von
außerhalb. Als Elvis sich in Love Me Tender, wo er hinter einem
Pferdepflug herstolperte, auf der Leinwand selbst karikierte — wir bogen uns
vor Lachen, denn wer konnte da widerstehen? — , merkten wir trotzdem, daß die
sentimentale Lüge der Wahrheit entsprach. Und es gab ein PR-Foto, das wir
besonders mochten: Elvis während der Dreharbeiten zu diesem grauenhaften ersten
Film, in Jeans, zwischen einem Gewirr von Kabeln in einem Regiestuhl lümmelnd.
Man hält ihn eher für ein Mitglied der Crew als für den Star. Er trinkt aus
einer Colaflasche, sein Haar ist stachlig von Fett und Schweiß, und die Hand
mit dem Siegelring hängt locker über die Armlehne, die langen Finger lässig
gespreizt.
Ich beschreibe dieses Bild, als
hätte ich es vor mir, dabei ist es vierzig Jahre her, seit Gail und ich es mit
unseren Fingernägeln in Fetzen grapschten. Das war der Elvis, den wir liebten,
der verhinderte Mistgabelschwinger. Seine anständigen, properen Rivalen
verachteten wir, besonders den sonnengebräunten, frisch gewaschenen Pat Boone
mit dem gescheitelten Blondhaar und der netten, leichten Stimme, wie meine
Mutter sie nannte. Eines denkwürdigen Tages, als Ivy und der Stiefvater uns auf
einen Ausflug nach Southport mitnahmen, verwandten Gail und ich unsere ganze
Zeit und unser ganzes Taschengeld darauf, in der windgepeitschten Stadt von
einer Musikbox zur nächsten zu rennen und dafür zu sorgen, daß Pat Boones
züchtiger Hit Love Letters in the Sand überall von All Shook up übertönt wurde. Das eine war Friede, Freude, Eierkuchen, das andere
unartikuliertes, unerbittliches Gehämmer und Gewummer. »Please don’ ask me
what’s on my min’, I’m a little mixed up but I’m feelin’ fine...« Alle Elvisse
stöhnten und wimmerten gleichzeitig, und die Wellen rauschten heran und
löschten Pat Boone aus. Und wir klammerten uns in einem nach Orangenschalen und
Urin riechenden Unterstand an der Promenade aneinander und kreischten verzückt
wie die Mänaden, als sie Orpheus zerrissen.
In Southport gab es nur ein
paarmal im Jahr eine richtige Flut, doch unsere Euphorie war Ersatz genug für
die Regenbogengischt. Nothing lasts, genau das meinten wir. Rockidole
waren verschwenderisch, sie machten viel Lärm um nichts, sie waren
Hampelmänner, die alles auf einmal haben, vor allem aber geliebt werden
wollten, so daß all ihre rastlose Energie verpuffte und sie schließlich allen
gehörten. Ihr Dasein war zerbrechlich wie eine Schellackplatte, zweidimensional
wie ein Bild, wir mußten ihnen Realität verleihen. Wir hätten sie am liebsten
alle aufgefressen, was hatten wir für große Augen; wenn wir sie mit Haut und
Haaren verschlangen, würden ihre Kräfte auf uns übergehen, sie würden uns
gehören, sie würden wir sein. Als Jerry Lee mit seiner vierzehnjährigen Frau,
seiner Kusine, auf England-Tournee war, kam die Sünde, von der diese Verlorenen
sangen, an den Tag. Shake, baby, shake. Sex für Kinder. »Gehen Sie weg«,
zischte Mrs. Jerry einen Reporter der News of the World durch den
Türspalt ihrer Suite im Ritz oder im Savoy an, »gehen Sie weg, Jerry und ich
sind im Bett.« Doch sie wurden selbst fortgeschickt, wegen ihrer
Hillbilly-Bräuche in Sachen Liebe und Ehe mit Schimpf und Schande aus dem Land
gejagt. Aber sie wußten es nicht besser. Wir stellten uns vor, wie Mrs. Jerry
in ihrem Babydoll auf dem Fünf-Sterne-Bett herumhüpfte. »I just wanna be yo’
teddy bear«, sang Elvis.
Der Sex in den Songs war eine
zweite Chance, Kind zu sein. In Hanmer und Whitchurch hatte man eigentlich gar
keine Zeit, Teenager zu sein, man fing mit fünfzehn an
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